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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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ohrfeigte den
dürren, knotigen Stamm eines angepflockten Campus-Bäumchens mit der flachen
Hand. »Hasse, hasse, hasse.« Die Tatsache, dass sie
einen Bartträger verlassen hatte, um in den Armen eines anderen Bartträgers zu
landen, zeigte, dass sich niemals etwas ändern würde, sie sich niemals ändern würde und das Leben, wo auch immer sie es leben würde,
zwangsläufig derselbe unveränderliche Haufen Mist blieb, nichts anderem
geschuldet als der eigenen Anwesenheit.
    Zwei Jungen saßen
rauchend auf den Stufen zur Bibliothek und sahen amüsiert zu, wie sie dem Baum
abwechselnd rechts und links Ohrfeigen verpasste. »Ich als Nächster!«, rief
einer von ihnen.
    »Nein, Mann, ich! Ich
mag’s hart.«
    Pella drehte sich um
und zeigte ihnen den Mittelfinger. Sie grinsten und winkten. Sie holte aus, um
dem Bäumchen einen letzten läuternden Hieb zu versetzen, aber sie setzte zu
viel Kraft ein, und statt den Stamm mit der Handfläche zu treffen, landete ihr
Mittelfinger unglücklich auf der knotigen Borke. Während sie sich den Finger in
den Mund rammte, schrie sie etwas Unflätiges, das auf mich endete.
    »Gerne, Baby!«
    »Dachte schon, du
würdest nie fragen!«
    Der Finger war entweder
verstaucht oder gebrochen. Sie rannte auf die Jungen zu, nahm sie durch ein
wütendes Gewimmel rot glühender Lichtpünktchen hindurch gar nicht richtig wahr.
Der eine trug eine Wollmütze, der andere hatte keine Kopfbedeckung; ihre
Rucksäcke lagen neben ihnen auf der obersten Stufe. Weil sie ein Mädchen war,
standen sie nicht auf, um zu kämpfen oder wegzulaufen, sondern schauten sie nur
dümmlich an, die idiotischen Gesichter erheitert und voller Erstaunen.
    »Hey«, sagte einer der
beiden. »Das ist Schwartzys Freundin.«
    Es gab womöglich nichts
Richtiges, was die beiden in diesem Moment hätten sagen können, aber das war
auf jeden Fall das Falsche. Sie flog senkrecht die Stufen hinauf, stieß
gleichzeitig Verwünschungen aus. Die Jungs schnappten sich ihre Rucksäcke und
stürzten in die Bibliothek. Als sie sahen, dass sie ihnen nicht folgte, lachten
sie und stießen die Fäuste gegeneinander.
    Sie ging die
gestreckte, kühle Betonflanke der Bibliothek entlang bis zum Kleinen Hof, der
dunkel, lauschig und komplett still dalag. Ihr Finger fühlte sich steif und
komisch an, Blut und Schmerz pochten darin. Die Glocken der Kapelle schlugen
vier Mal, und plötzlich begriff sie, dass es mitten in der Nacht war. Sie hätte
gar nicht ins Bartleby’s gehen können, selbst wenn sie es probiert hätte. Als
sie dort im Dunkeln innehielt, bemerkte sie eine Gestalt – ein Einbrecher? Ein
Vergewaltiger? Ein Pavian? –, die sich in einem nahe gelegenen Baum auf und ab
bewegte und dabei schwer atmete.
    »Henry? Bist du das?«
    Henry schreckte auf,
fiel vom Baum und taumelte ein paar Schritte rückwärts. »Hey.«
    »Was machst du da?«
    »Klimmzüge.«
    »Wie viele schaffst
du?«
    Er zuckte mit den
Schultern. »Man kann immer noch einen mehr machen.«
    Sie forschte in seinem
Gesicht nach Anzeichen für die enorme Anspannung, unter der er laut Mike stand,
konnte aber nichts entdecken. Seine Atmung normalisierte sich. Gedankenverloren
dehnte er die Handgelenke. Er hatte den leeren Blick eines topfitten
Marineinfanteristen. Pella überkam eine flüchtige Angst, dass er sie irgendwie
angreifen könnte. »Ist ein bisschen wie bei Zenons Paradoxon«, sagte sie. »Mit
den Klimmzügen jetzt. Wenn man immer noch einen mehr machen kann, wie kann man
dann überhaupt aufhören?«
    Henry zuckte die
Achseln. »Gar nicht.«
    »Stimmt. Deswegen bist
du auch um vier Uhr morgens hier draußen, oder?«
    Er antwortete nicht.
Sie ertappte sich dabei, wie sie mit dem Reißverschluss ihres Kapuzenpullis
spielte – eine riskante Angewohnheit, jetzt wo sie nichts daruntertrug. Sie zog
ihn so hoch, wie es irgend ging.
    »Was ist mit deinem
Finger passiert?«, fragte er.
    »Ach, nichts. Ich hab
einen Baum verprügelt.«
    »Willst du etwas Eis
haben? In meinem Wohnheimkeller steht eine Eismaschine.«
    »Geht schon. Ich hol
mir bei meinem Vater welches.«
    »Okay.«
    In der Wohnung ihres
Vaters ging ein Licht an. Er hatte einen eigenartigen Rhythmus in letzter Zeit,
stand bereits um halb vier oder vier auf und ging gleich hinunter ins Büro. Ein
Anzeichen des Alters vielleicht, eine Art männlicher Wechseljahre. Pellas
Kindheit über hatte er als unkündbarer Professor weiterhin nach den
Gewohnheiten eines Doktoranden gelebt, hatte bis spät in die Nacht

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