Kunst des Feldspiels
versuchte es erneut. »Vielleicht?«
»Morgen«, gab Pella zu.
»Er kommt morgen.«
»Wo wird er
übernachten?«
»Im Hotel.«
»Wo wirst du übernachten?«
Sie verpasste ihm einen
Hieb auf die Schulter, der spielerisch gemeint war, hinter dem aber richtig
Kraft steckte. »Was glaubst du denn? Bei meinem Vater natürlich.«
»Nicht hier.«
»Das geht nicht. Morgen
nicht.«
»Wegen deines
Ehemanns.«
»Er ist nur darum mein
Ehemann, weil wir noch nicht geschieden sind.«
»Wieso kommt er dann?«
»Er ist geschäftlich in
Chicago. Behauptet er zumindest. Jedenfalls war es bescheuert von mir zu
glauben, ich könnte mich einfach davonschleichen, und die Sache wäre erledigt.
Wir müssen uns hinsetzen und die Dinge klären. Die Trennung und so weiter. Er
ruft zehn Mal am Tag bei meinem Vater an.«
»Ich werde mit ihm
reden.«
»Ja, klar«, sagte
Pella. »Das wird ihn sicher beruhigen. Wenn er erfährt, dass wir rumvögeln.«
»Ist es das, was wir
tun? Rumvögeln?«
»Du weißt, was ich
meine.«
»Da bin ich mir nicht
so sicher.«
»Wie soll ich es
nennen? Ja, wir vögeln rum. Oder haben wir zumindest, bis heute Nacht.«
Schwartz war nicht ganz
klar, ob das als Kommentar zu ihrem Scheitern in Sachen Sex oder als
Trennungserklärung gemeint war. Sein Telefon begann auf dem Pappkarton, der als
Nachttisch diente, zu schlittern und zu tanzen. Pella wurde stocksteif. Er
konnte unmöglich Henrys Anruf annehmen, nicht jetzt – aber das Übel bestand
schon darin, dass Henry anrief, und nicht abzuheben, machte es nicht gerade
besser. Das Telefon erschauderte ein letztes Mal und verstummte.
»Ich weiß nicht, warum
ich überhaupt mit hierhergekommen bin«, sagte sie.
»Dann geh. Was hält
dich davon ab?«
»Keine Sorge, ich geh
schon.« Pella stand auf und zog sich ihr Sweatshirt über den ansonsten nackten
Körper. Schwartz fühlte angesichts so viel herrlicher Nacktheit eine Druckwelle
des Bedauerns über sich hereinbrechen. Im Türrahmen drehte sie sich um, ihre
Augen glühten. »Du liebst es, dir das Leben schwerzumachen, stimmt’s? Mike
Schwartz, Nietzsches Packesel. Das Gewicht der Welt auf den breiten alten
Schultern. Aber weißt du was? Nicht alle haben Lust darauf, das eigene Leiden
ins Unermessliche zu steigern. Für manche Leute ist es schwer genug, einfach
nur von Tag zu Tag über die Runden zu kommen. Tut mir leid, dass ich auf einer
Privatschule war, okay? Tut mir leid, dass ich nie in einer Fabrik gearbeitet
habe. Sicher, ich hab die Highschool abgebrochen. Ich spül das Geschirr im
Speisesaal. Aber das ist bloß Möchtegern-Arbeiterklasse, stimmt’s, Mike? Das
ist nicht echt , das ist kein echtes Leiden, nicht das
verschissene Chicagoer Ghetto. Wofür ich mich entschuldige. Es tut mir verdammt
noch mal wirklich leid, dass mein Vater seinen Doktor gemacht hat, statt sich
zu Tode zu sau-«
»Ich dachte, du
wolltest gehen.«
»Ich bin schon weg.«
Die Zimmertür fiel
krachend ins Schloss, die Haustür ebenso. Dann erklang das wütende
Tambourinschellen des auffliegenden und wieder zufallenden Eingangstors.
Schwartz schaltete eine Lampe ein und versuchte zu lesen, aber er konnte sich
nicht konzentrieren, also schmiss er zwei Hydrocodon ein, die er eigentlich für
den kommenden Tag vorgesehen hatte, und ging hinaus auf den Flur.
Ein dünner Lichtstreifen
kam unter der geschlossenen Badezimmertür hervor. Die Toilettenspülung wurde
betätigt, dann füllte Aschs stämmiger rosiger Körper, stämmiger noch als
Schwartz’ eigener, den Türrahmen. Er kratzte sich durch seine Boxershorts am
Hodensack. »Alles klar bei dir?«, fragte er, blinzelte ohne seine
Kontaktlinsen.
Schwartz zuckte mit den
Schultern. Er musste die Worte von irgendwo tief unten heraufziehen: »Könnte
schlimmer sein.«
»Könnte immer schlimmer
sein.« Asch verschwand in seinem Zimmer und kam mit einem Stapel der
Schokolade-Walnuß-Ingwer-Kekse seiner Mutter zurück.
»Tu sie ein paar
Sekunden in die Mikro«, sagte er. »Im Kühlschrank steht Milch.«
»Danke.«
Asch kratzte sich noch
ein bisschen am Sack und blinzelte. Nicht nur seine Freundlichkeit, auch seine
Leibesfülle hatte etwas Tröstliches, suggerierte die Existenz höherer Mächte
als Schwartz selbst – Mächte, die zwar nicht so recht in der Lage waren,
Schwartz zu beschützen, aber immerhin nicht seines Schutzes bedurften. »I ain’t tripping ’bout no bitches«, sagte Speck, den
Rap-Song der Stunde zitierend. »I just worry ’bout the
game.«
»Danke«,
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