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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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zurück in die
Küche, um sich zwei weitere zu holen. Dann breitete er seine
Hundert-Dollar-Scheine auf dem Couchtisch aus. Dort lag ein Feuerzeug, und er
dachte eine ganze Weile darüber nach, nahm sogar einen Schein in die Hand und
bewegte die Flamme darunter hin und her. Die Unterseite schwärzte sich etwas,
aber er war nicht betrunken genug oder dämlich genug oder was auch immer.

35
    —
    Pella war unterwegs ins Bartleby’s, um sich mit Scotch
einen Vollrausch zu verpassen, bemerkte jedoch mitten auf der Grant Street,
dass da zwischen ihren Fußsohlen und dem kiesigen Asphalt nichts war – wieder
eine überzogene Reaktion der Art, für die sie, zumindest in ihrer Vorstellung,
bekannt war –, weshalb ihr nichts anderes übrig blieb, als zurück zur Scull
Hall zu gehen. Die Footballspieler, die sich im Bartleby’s als Türsteher
verdingten, hätten sie auch ohne Schuhe hineingelassen, weil sie ein Mädchen
war und nicht nur irgendein Mädchen, sondern die Freundin von Mike Schwartz –
haha –, aber barfuß über diesen Boden zu laufen, der glitschig war vom Bier und
der Erinnerung an aufgewischte Kotze, wäre eklig gewesen, und hinterher wäre es
ihr noch schlechter gegangen als ohnehin schon.
    Dieser verfluchte Mike Schwartz! An wie vielen Abend in den letzten
paar Wochen hatte er zugestimmt, sie irgendwo zu treffen, nur um dann in
letzter Sekunde anzurufen und zu sagen Entschuldige, Liebling, Süße, Schatz,
Schnuckiputz, Kleine, Teuerste – Entschuldige, aber Henry und ich sind im
Kraftraum, Henry und ich sind auf dem Baseballfeld, Henry geht es nicht so gut,
Henry und ich gucken Video, Henry und ich unterhalten uns gerade, es einfach so zu sagen, zuckersüß und dennoch ganz und gar sachlich und leicht
herablassend, als wäre sie nur beinahe dazu in der Lage zu erfassen, wie unermesslich
wichtig jede einzelne Befindlichkeit oder jedes einzelne Bedürfnis Henrys war.
    Und hatte Pella auch
nur einmal etwas dazu gesagt? Nein. Sie hatte beispielsweise nicht gesagt, dass
Henry erwachsen war oder nahezu erwachsen war und für sich selbst sorgen könne.
Oder dass die zeitweise Unfähigkeit, einen Baseball mit vollendeter Akkuratesse
von A nach B zu werfen, nicht zwangsläufig tragisch genannt werden musste.
Genauso wenig hatte sie – zum Beispiel – gesagt, dass Henry dann wieder besser
werfen würde, wenn ihm danach war, und man ihn deswegen vielleicht einfach mal
in Ruhe und die Dinge laufen lassen sollte. Es war erstaunlich, wie die
Menschen einander einengten, sich gegenseitig zwangen, in derart streng
limitierter Weise zu handeln, so als wäre es das Ende der Welt, wenn es Henry
nicht gelang, augenblicklich wieder in die Spur zu
kommen, als würden ein paar Selbstzweifel ihn auf lange Sicht nicht zu einem
besseren Menschen machen, als gäbe es keinen Grund, eine Baseballpause
einzulegen und sich selbst Stricken, Cello und Gälisch beizubringen – aber nein,
Gott bewahre, er musste hart arbeiten, das Ziel im Blick, den steinigen Weg
gehen, den Kopf oben behalten, sich einfach entspannen, positiv denken und
weiterhin Staub fressen und auch sonst jedem bescheuerten Klischee folgen, das
Mike oder sonst jemand auf ihn anwendete, sich abrackern und den Kopf
zerbrechen, bis er schließlich Panikattacken bekam, zum Teufel noch mal, was
auch nicht weiter tragisch war, aber alles andere als ein gutes Zeichen.
    Armer Henry. Als ob es
irgendjemanden wirklich interessierte, was aus ihm wurde, ein lächerlicher
Junge mit einem lächerlichen Problem. Jedermanns Probleme waren irgendwann
lächerlich, lächerlich im Vergleich zur Erderwärmung, dem Artensterben,
irgendeiner durch Vögel oder Trinkwasser übertragenen Seuche, die nur darauf
wartete, uns alle dahinzuraffen, lächerlich im Vergleich zur brutalen Tatsache
des Todes, aber Henrys Problem war ganz offenkundig einfach nur lächerlich. Und
doch hatte sie bereits jede Menge Zeit darauf verwendet, es von allen Seiten
betrachtet und wie der Teufel gehofft, es möge verschwinden, damit Mike weniger
an Henry und mehr an sie dachte. Denn sie mochte ihn.
    Oder hatte ihn vielmehr gemocht, dachte sie, als sie durch das
dunkle, feuchte Gras auf die großen Spiegelscheiben der Bibliothek zustapfte –
mochte, Vergangenheitsform. Denn warum sollte sie ihn jetzt noch mögen? Seit
sie sich kennengelernt hatten, war ein Monat vergangen, und noch immer hatte er
sich seinen bescheuerten Bart nicht gestutzt. Sie hasste Bärte. »Ich hasse Bärte«, stieß sie wütend hervor und

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