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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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nicht einfach schnaubend herumrennen und Leute umhauen, so wie
Schwartz es beim Football tat. Man stand da und wartete und versuchte,
innerlich ruhig zu bleiben. Wenn der Moment gekommen war, musste man bereit
sein, denn verbockte man es, wusste jeder, wessen Fehler es gewesen war. In
welcher anderen Sportart wurde eine vergleichbar grausame Statistik-Kategorie
wie der »Error« geführt, die zudem noch für jeden sichtbar auf die Anzeigetafel
gebracht wurde?
    Es dauerte zehn Minuten, das Band ganz
anzuschauen. Schwartz spulte zum Anfang zurück, und sie sahen es in Zeitlupe
an. Dann wieder in Normalgeschwindigkeit. Dann noch mal in Zeitlupe. Ein
plötzlicher Frühlingsregen trommelte auf das flache Metalldach des VAC . Der
Junge auf dem Bildschirm schnappte sich Ball für Ball, konzentriert und
unermüdlich, in halb gelangweilter Entrückung versunken.
    »Können wir jetzt
gehen?« Henrys Fuß tippte nervös auf den Teppich. »Ich hab Hunger.« Hatte er
eigentlich nicht. Er hatte in letzter Zeit wenig Appetit, aber er wollte hier
raus. Es war eigenartig, fast ein wenig unheimlich, wie sehr Schwartz auf das
Video fixiert war – als wollte er den dürren, unbeschwerten Jungen wieder zum
Leben erwecken. Als wäre Henry tot statt neben ihm zu sitzen. Ich bin hier, dachte er.
    »Ein Mal noch«, sagte
Schwartz. »Nur noch ein einziges Mal.« Sie sahen die Aufnahme erneut an, und
wieder schwebte Schwartz’ Finger über dem Rückspulknopf. Für Schwartz schien
der Junge auf dem Bildschirm eine Art Chiffre, eine Sphinx, ein stiller Bote
aus einer anderen Zeit zu sein.
    Ihr
werdet niemals wissen, wie das ist. Aber Schwartz hatte es jahrelang versucht, und er versuchte es noch
immer. Wenn er in diesen leeren Kopf hineinkriechen, den orakelhaft leeren
Gesichtsdruck des Jungen deuten könnte – ausdruckslos und
dennoch Gott im Antlitz –, vielleicht würde er dann wissen, was er tun
sollte.
    Henry ging mittagessen,
Schwartz mit seinem kläglichen Stapel Mappen in Richtung Glendinning Hall. Als
er daheim war, brauchte er drei Rasierer, um sich des Abschlussarbeitsbarts zu
entledigen.

37
    —
    »Komm«, sagte Hero während der Frühstücksschicht, »ich
machen was drauf.«
    Pella winkte ab. »Ach, lass nur. Geht schon.« Tatsächlich fühlte
sich ihr Finger nicht besonders schlimm an. Er war steif und lila, tat aber
nicht mehr allzu weh. Hin und wieder war sie damit gegen einen Topf, einen
Teller oder die flache Kante der Spüle gestoßen und hatte einen kleinen
Schmerzensschrei losgelassen. Küchenchef Spirodocus hatte ihr freigestellt,
nach Hause zu gehen, aber sie wollte nicht nach Hause – sie wollte Besteck in
Kästen einsortieren und die fettigen Rückstände von Speckstreifen aus flachen
Pfannen strahlen. Wenn das Frühstück vorbei war, wollte sie die sogenannte
Salatbar mit Ketchup, Sirup und Blaubeerjoghurt auffüllen, die gelbe Schicht von
der Mayonnaise schöpfen und das Eis unter den Stahlwannen erneuern. Heute war
Freitag, ihr Doppelschicht-Tag. Sie wollte arbeiten. Sie wollte nicht über die
letzte Nacht mit Mike oder den Abend mit David nachdenken. Sie wollte hier
sein, bei dem rollenden Portugiesisch und der blechernen Salsa-Musik, die aus
irgendjemandes Radio plärrte, dem malmenden Gebrüll der Müllpresse und des
Megaspülautomaten, Wasser überall, und dem zusätzlichen Gebrüll, wenn
Küchenchef Spirodocus sich aufregte. Sie wollte in Bewegung bleiben, hier im
Zentrum des Getümmels. Indem sie zu Vorlesungen ging, schwamm, arbeitete, sich
Bücher in der Bibliothek lieh und zur selben Zeit schlafen ging wie ihr Vater,
hatte sie ihrem Leben ein kleines bisschen Schwung gegeben. Sie ertappte sich
bei dem Gedanken, dass vier Jahre in Westish vielleicht nicht das Schlechteste
waren. Gleichzeitig aber spürte sie, wie fragil dieser Fortschritt noch war,
wie leicht es wäre, nachzulassen, zuzumachen und wieder dort zu landen, von wo
aus sie gestartet war, den ganzen Tag im Bett zu verbringen, ohne schlafen zu
können, voller Angst vor dem Tag und vor der Nacht gleich doppelt, nicht mehr
ans Telefon zu gehen und nur noch Trost in dem Gedanken zu finden, nie wieder
Trost zu brauchen.
    »Komm her.« Hero winkte
sie ungeduldig herbei. Mit einem Hackmesser kappte er ein Stück weißen
Erste-Hilfe-Verband und klebte es ihr eng um den verletzten und den Ringfinger.
»Kein Unfall so.«
    »Hm«, sagte Pella
beeindruckt. Sie sah hart aus, wie ein Footballspieler. Als sich nach ein paar
Stunden der Kleber durch

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