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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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und beschissene Scouts. War man in der Lage, auf
Anhieb zu funktionieren, wie ein Auto, ein Brennofen oder eine Schusswaffe?
Gelang einem dieser Wurf wirklich hundert von hundert Malen? Wenn nicht,
sollten es besser neunundneunzig sein.
    Am hinteren linken Ende
des DVD -Regals stand eine einzelne unbeschriftete Videokassette. Schwartz
fingerte sie aus der Hülle und schob sie in den altmodischen Videorekorder.
    »Was ist das?«
    »Wirst schon sehen.«
    Schwartz sah sich das
Band manchmal allein an, spätnachts, so wie er bestimmte Passagen von Marc
Aurel immer wieder las. Es stärkte einen undefinierbaren Teil seiner
Persönlichkeit, der zu verschwinden drohte, wenn Schwartz nicht aufpasste.
    Die Kamera hatte an
diesem Tag auf einem Stativ hinter der Home Plate gestanden. Ein dünner
Streifen Maschendraht des Ballfangs beschnitt an einer Ecke das Bild.
Sonnenlicht fiel gleißend in die Linse, bleichte eine Seite aus, sodass sich
Henrys weißes Unterhemd und schließlich sein ganzer dürrer Körper in einer
geisterhaften Lichtexplosion auflösten, als er rechts von der Kamera
Aufstellung bezog.
    Henry schaute zu, wie
er ein paar Aufsetzer unter Kontrolle brachte und zur First Base pfefferte.
»Ist das in Peoria?«
    Schwartz nickte.
    »Merkwürdig. Woher hast
du das?«
    »Von meinem
Legion-Team. Wir haben alle unsere Spiele aufgezeichnet.« Nachdem Henry an
diesem sengend heißen Nachmittag das Training beendet hatte, hatte Schwartz die
Kamera überprüft und gesehen, dass das rote Lämpchen noch immer leuchtete. Er
hatte einen Beleg dafür gewollt, was er gesehen hatte – etwas, womit er anderen
und vor allem sich selbst beweisen konnte, dass er hinsichtlich Henrys Talent
nicht übertrieben oder bloß halluziniert hatte. Er hatte sich also das Band unter
den Nagel gerissen, es sich mehrmals angesehen und eine Kopie an Coach Cox
geschickt. Es hatte, mehr oder weniger, als Henrys Bewerbung in Westish
gedient.
    Henry wusste nichts von
der Existenz des Bandes. Schwartz vermochte nicht zu sagen, warum er es die
letzten drei Jahre für sich behalten hatte – als gäbe es da einen Teil von
Henry, der mehr ihm gehörte als Henry selbst. Den er nicht teilen wollte, nicht
einmal mit ihm.
    »Verrückt«, sagte Henry
wieder. »Schau dir an, wie dünn ich war. Gebt dem Jungen ein bisschen
SuperBoost.«
    »Guck einfach zu.«
    Henry warf einen
Baseball von einer Hand in die andere, schaute währenddessen starr auf den
Bildschirm.
    »Wozu sehe ich mir das
an?«
    »Guck einfach, Skrim.«
    »Ich dachte, dir wäre
vielleicht was aufgefallen.«
    »Vielleicht fällt dir was auf«, blaffte Schwartz. »Wenn du mal Ruhe gibst und
zuguckst.«
    Henry sah gekränkt aus.
Er hörte auf, den Baseball hin und her zu werfen.
    »Tut mir leid«,
brummelte Schwartz. Er tat so unverzeihlich wenig, um seinem Freund zu helfen.
Schlug zusätzliche Aufsetzer, wiederholte Platitüden wie Entspann
dich und Zieh durch – moralische
Unterstützung, nicht mehr. Sobald Henry das Feld betrat, war er gänzlich auf
sich allein gestellt.
    Und genau dieses
Alleinsein war auf dem Bildschirm zu sehen: diese unerbittliche,
einzelgängerische Leere auf Henrys schweißüberströmtem Gesicht, während er
einen Ball auf der Rückhandseite annahm und in den Handschuh seines dicklichen
First Baseman feuerte. Nicht dass Henry sich von seinen Teamkollegen
zurückgezogen hätte. Tatsächlich war er auf dem Feld munterer als überall
sonst. Aber ganz gleich, wie viel er auch mit den anderen schwatzte,
herumkrakeelte oder durch die Gegend hüpfte, es war immer etwas beängstigend
Unnahbares in seinen Augen, wie bei einem Solisten, der so sehr eins mit der
Musik ist, dass man nicht zu ihm durchdringt. Hierher könnt
ihr mir nicht folgen, schienen die blassblauen Augen zu sagen. Ihr werdet niemals wissen, wie das ist.
    Wenn Henry jetzt das
Feld betrat, sagten die Augen dasselbe, jedoch gepaart mit einem wachsenden
unterschwelligen Entsetzen. Ihr werdet niemals wissen, wie
das ist. Auf seine leise Art war Baseball ein Sport maßlosen Grauens.
Bei Football, Basketball, Hockey oder Lacrosse stürzte man sich ins Gewühl. Man
konnte sich nützlich machen, indem man sich mehr ins Zeug legte und härter
austeilte als der andere. Die Erlösung ließ sich durch schieren Willen
erringen.
    Doch beim Baseball war
es anders. Schwartz fand es homerisch – kein durchgehendes Handgemenge, sondern
eine Abfolge einzelner Wettkämpfe. Schlagmann gegen Pitcher, Feldspieler gegen
Ball. Man konnte

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