Kunst des Feldspiels
Tisch und sein weiches Kinn auf seine Stummelfingerhand und
sah sie aus zusammengekniffenen Augen melancholisch an. »Der Teufel steckt im
Detail, sagt man. Du verstehst das. Ich glaube, du wärst gute Küchenchefin.«
»Wirklich?«
Küchenchef Spirodocus
zuckte mit den Schultern. »Vielleicht«, sagte er. »Wenn du wirklich willst.«
»Hm.« Vor Pellas
innerem Auge tauchte plötzlich das Restaurant auf, das ihr gehören würde: klein
und komplett weiß gestrichen, aber in einem warmen Ton. Und hin und wieder
würde sie sich einen weißen Stuhl oder Tisch vornehmen und ihn ihrer Stimmung
entsprechend streichen, einen Türrahmen oder eine Profilleiste, eine Leinwand
an die weiße Wand hängen, sodass das Weiß nach und nach von Farbe abgelöst
würde. Wenn also die Kunden über einen Zeitraum von Wochen, Monaten und Jahren
dort saßen, würden die Räume langsam zu blühen beginnen und sich vor ihren
Augen verwandeln, von reinem Weiß in ein genialisches Farbgetöse übergehen,
einen Tumult aus Grün, Mango und Orange. Und wenn dann alles bemalt war, würde
sie ihr Werk in einem Blizzard aus weißer Farbe wieder auslöschen und von vorn
beginnen. So ein Restaurant hätte sie gern. Das Essen allerdings, das dort
serviert wurde, war weit undeutlicher zu erkennen: Sie sah sich weiße Teller
hin und her tragen und hörte das Klappern, konnte aber nicht sagen, was darauf
lag. Sie konnte fein säuberliche und präzise Arrangements erkennen, die
Kontraste zwischen Farbe und Konsistenz, nicht aber die Speisen selbst. Über
Lebensmittel müsste sie noch eine ganze Menge lernen. Und genau genommen würde
sie, wenn das Restaurant tatsächlich eröffnete, derart damit beschäftigt sein
zu kochen und die Küche zu schmeißen, dass sie zum Bemalen der Einrichtung
überhaupt keine Zeit mehr hatte.
Sie müsste also im
Grunde ihre Vorstellung von einem Restaurant und davon, wie es funktionierte,
komplett revidieren, müsste lernen, es nicht aus der Perspektive eines
Innenarchitekten, sondern aus der eines Kochs zu betrachten, und das war eine
Vorstellung, die sie noch nicht besaß, aber eines Tages vielleicht gern
besitzen würde. Vielleicht aber wollte sie auch gar keine Köchin werden,
sondern es ging vielmehr um die Möglichkeit, irgendetwas zu tun, ein Ziel zu verfolgen, und das erschien ihr, zum ersten Mal seit
langem, nicht nur reizvoll, sondern durch und durch real.
»Jetzt geh nach Hause«,
verfügte Spirodocus. Er schob seinen Stuhl zurück und sah wieder auf sein
Klemmbrett. »Und wenn du nicht nach einem Monat kündigst wie alle diese Kinder,
kann ich dir vielleicht was über Essen beibringen. Ich bin nämlich nicht
irgendein Panscher.«
38
—
Owen war nicht aufgetaucht. Noch nicht. Hatte noch nicht
mit den Knöcheln zart Klopf Klopf Klopf auf dem dicken präsidialen Walnussholz
von Affenlights Tür gemacht, sich in den Raum gestohlen und die Tür hinter sich
geschlossen, sich von seiner Umhängetasche befreit, Affenlights Hände ergriffen
und einen ironisch keuschen Kuss auf seinen Lippen platziert.
Nach Affenlights Armbanduhr war es 16.44 Uhr, 16.42 Uhr
laut der, die an der Wand hing. War Owen jemals so spät gekommen? Affenlight
bezweifelte es. Er öffnete die mittlere Schublade seines Schreibtischs. Die
Kugellager ruckelten und quietschten auf ihren verbogenen Laufschienen. Er
durchstöberte ein Durcheinander von Stiften und Heftklammern,
Zigarettenschachteln und vergessenen silbernen Tablettenstreifen mit Sortis und
Metoprolol und zog einen dreifach gefalteten Spielplan des
Westish-Baseballteams in Größe einer Brieftasche hervor, auf dessen Vorderseite
ein Foto von Henry prangte.
Affenlight kannte den
Plan beinahe auswendig; er hatte sich, nachdem er dem Spiel ein Leben lang mit
wohlwollendem Desinteresse begegnet war, zum passioniertesten Fan der
Harpooners entwickelt. Natürlich ging er hin, um Owen zu sehen, aber das Team
als Ganzes, angeführt vom verbissenen Mike Schwartz, umgab eine Aura von
Könnerschaft, die man in der Sportgeschichte von Westish so wohl noch nicht
gesehen hatte. Und was Affenlight während seiner Stunden auf dem Baseballfeld
am meisten in Beschlag nahm, war die Hoffnung, dass es Henry Skrimshander bald
besser gehen würde. Besser gehen würde – die
Formulierung sagte alles, als litte Henry an einer schrecklichen, unheilbaren
Krankheit. Das Mitgefühl, das Affenlight für ihn empfand, überstieg alles, was
er je für eine Romanfigur empfunden hatte. Es war sogar möglich, dass
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