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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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es nicht einmal getan, weil Schwartz sein
Gehalt durch die Mittel, die er beschafft hätte, und die gesteigerte
Außenwirkung, die sportlicher Erfolg nach sich ziehen würde, zwanzigfach wieder
eingespielt hätte, obwohl das zweifellos der Fall war.
    Er hatte es getan, weil
er spürte, dass Schwartz dasselbe für Westish empfand wie er. Hätte Affenlight
eine Liste der Dinge erstellen müssen, die er liebte, hätte er Westish nicht
darin aufgenommen. Das wäre ihm albern erschienen, so als würde man sagen, man
liebe sich selbst. Die Hälfte der Zeit über war er frustriert, ambivalent
gestimmt oder verärgert, wenn er an das College dachte. Aber alles, was das
Schicksal von Westish betraf, und sei es noch so unbedeutend, alles, was mit
Westish geschah oder auch nur darüber gesagt wurde, nahm Affenlight sich mehr
zu Herzen, als hätte es ihn persönlich betroffen. Er würde Westish vor jedweder
Gefahr beschützen. Diese Haltung war ermüdend – man musste stets auf der Hut
sein – und zugleich belebend. Sie half dem Ich, über sich selbst
hinauszuwachsen. Und Mike Schwartz empfand dasselbe für Westish. Schwartz hatte
es vielleicht noch nicht gemerkt – verdammt, Affenlight hatte dreißig Jahre
gebraucht, um es zu merken –, aber er empfand dasselbe.
    Contango war fest
eingeschlafen: so viel zum Thema Gassigehen. Affenlight ging ins Vorzimmer und
kochte eine Kanne Kaffee. Während er an dem dampfenden Becher nippte – GEFÄLLT’S MUTTI NICHT –, beschloss er, sich für die produktive Woche zu belohnen, indem er
die Budgetkalkulation links liegen ließ und an seiner Rede für die Abschiedsfeier
arbeitete. Schließlich rückte das Ende des akademischen Jahres näher. Er
rutschte mit dem Stuhl an eine neutrale Stelle – Schreibtisch auf der einen
Seite, Fenster auf der anderen – und schlug einen frischen Notizblock auf. »Und fehlt uns einmal die Gerste, dann ärgert uns das kaum«, murmelte er, »wir brennen den Schnaps aus Kürbis und Rinde
vom Walnussbaum.«
    Die Abschiedsfeiern
bereiteten Affenlight meistens ein diebisches Vergnügen. Der gebuchte
Hauptredner – für gewöhnlich irgendein mittelprächtiger Politiker, Autor oder
Firmenvorstand, große Namen waren nie dabei – dozierte, erzählte ausschweifende
Geschichten und offenbarte seltsame Vorstellungen von den Ängsten und Träumen
der frischgebackenen Absolventen. Im Vergleich – nicht dass es ein Wettbewerb
gewesen wäre – kam Affenlight grundsätzlich besser weg. Er hielt seine
Anmerkungen kurz und spickte sie mit obskuren Insiderwitzen und Wortspielen,
auf welche die Studenten, die diese Art von Kalauern seit der Eröffnungsfeier
über sich hatten ergehen lassen müssen, nun mit herzhaftem Gelächter
reagierten. Dies waren ihre Wortspiele, ihr College und ihr Präsident,
und kein Außenstehender vermochte zu folgen. Affenlight hob gravitätisch eine
Hand und tat, als rügte er sie für ihr Gelächter, was sie nur noch lauter
lachen ließ.
    Aus seiner eigenen
Studienzeit wusste er noch, dass die respekteinflößendsten Professoren immer
die größten Lacher ernteten. Das geringste Anzeichen von Ungezwungenheit, wie
forciert sie auch sein mochte, genügte, um Wellen ausgelassener Heiterkeit
durchs Auditorium zu senden. Schaut mal, Professor X ist auch nur ein Mensch!
Affenlight war, jetzt und seit Jahrzehnten, Profiteur solch billiger Lacher.
Für die Leute besaß er eine gewisse Distinguiertheit – sie betrachteten ihn,
wie berechtigt das auch sein mochte, als das Endprodukt sechzig Jahre währender
aufopferungsvoller Studien. Was keine schlechte Ausgangsposition war –
vielleicht gar nicht so viel schlechter, als jung zu sein.
    Gegen Ende jeder seiner
Ansprachen schaltete er, nur für einen Moment, in den gehobenen rednerischen
Modus. Streute ein paar lateinische Zitate ein, dankte Professoren und Eltern
und bemühte das niemals endende Streben nach Erkenntnis – es war beinahe zu
einfach, starke Gefühle heraufzubeschwören, was aber daran lag, dass er jedes
Wort so meinte, wie er es sagte. Die Studenten begannen zu weinen, ebenso
einige der Eltern.
    Die Fehler der
Studenten lagen noch vor ihnen, waren zukünftig und daher ruhmreich. Seine
eigenen lagen in der Vergangenheit. Sie mochten ruhmreich gewesen sein, die
eigenen Fehler – zumindest hätte er sie nicht gegen die Fehler eines anderen
eintauschen wollen. Nur einen einzigen Verlust bereute er: die Jahre, die er
von Pellas Leben verpasst hatte. Die Kette von Fehlern, die zu

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