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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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tatsächliche Schmerz, und er
verwechselte die beiden nur. Jedenfalls musste er seine Geschichte parat haben,
wenn er mit Pella sprach. Vorzeitige Pensionierung, Anweisungen des Arztes,
Stress, der Wunsch zu reisen, zu schreiben, wieder zu unterrichten – irgend so
ein Blödsinn. Er schloss sein Postfach und fuhr den Computer herunter, wie
jeden Abend.
    Als der Bildschirm
dunkel wurde, überfiel ihn eine so tiefe, so süße Müdigkeit, dass es unmöglich
schien, auch nur nach oben zu gehen. Mühevoll schob er den massiven Stuhl
zurück und ging zu dem kleinen Sofa hinüber. Er setzte sich und öffnete unter
Schwierigkeiten die Schnürsenkel seiner Budapester. Contango war auf dem Läufer
eingeschlafen. Affenlight legte sich hin, kreuzte die langen Beine an den
Knöcheln und breitete seine Jacke über sich, um nicht auszukühlen. Er war dazu
übergegangen, den Thermostat abends unter der Woche niedrig einzustellen, sehr
niedrig.
    Die Musik, die in seine
Träume drang, war nicht Gounod oder Mozart oder sonst irgendetwas, das
Affenlight liebte. Es waren die ersten Töne des alten Kampflieds von Westish,
sentimental, unaufdringlich, auf einer Flöte oder einem anderen trillierenden
Holzblasinstrument gespielt. Dann setzte die Kapelle ein, blechern und kräftig.
Auf geht’s, Maple 86, auf geht’s, Maple 86. Los, los . Neagle stieß den Ball zwischen
seinen goldfarbenen Schenkeln hindurch nach hinten, wo er genau in Affenlights
Händen landete. Das Wohlgefühl genarbten Leders an seinen Handflächen.
Cavanaugh war bereits gestartet, der schnellste Mann im Team, ein
Geschwindigkeitswunder, aber mit zwei linken Händen. Affenlight ging mit dem
Ball in die Hocke, machte einen Kreuzschritt, Hocke, Kreuzschritt. Der
Angreifer würde sich von der ungedeckten Seite nähern. Cavanaugh liebte es
durchzustarten, rannte wie ein Weltmeister, konnte aber nicht für fünf Cent
fangen, er machte einen heiß und ließ einen dann abblitzen, mit den Schritten
eines Rennpferds weckte er falsche Hoffnungen, aus der Manndeckung brach er so
schnell aus, dass kein Abwehrspieler der gegnerischen Mannschaft die Lorbeeren
einheimsen konnte, wenn Cavanaugh den Ball schließlich doch fallen ließ. Und
dennoch gab es immer eine Chance, dass diesmal alles klappen würde. Der nächste
Versuch war immer der, bei dem alles klappen würde.
    Wie viele Tage waren
vergangen, seit er das Bündel Papier im Keller der Bibliothek gefunden hatte?
Inmitten des Durcheinanders von Spielern, die um ihn herum schnauften und
umkippten, kam ihm plötzlich der melodische Klang von Melvilles Worten in den
Sinn. Wie kurios. Normalerweise war er voll konzentriert, genauso wie die
anderen auch, das mussten sie sein, nur so funktionierte es, durch die
Übereinkunft, dass das Spiel das Wichtigste überhaupt war, aber diese Störung
war herrlich, ein kurzer Einblick in eine Welt jenseits der Welt des
grün-weißen Spielfelds. Und in diesem Moment, als Affenlight sich mit dem
letzten Kreuzschritt in Wurfposition brachte und Melvilles Worte hörte und
zugleich sah, wie Cavanaugh immer mehr Abstand zwischen sich und den letzten
Verteidiger brachte, wusste er, dass es für ihn vorbei war mit Football, für
immer vorbei, dass er im kommenden Jahr nicht mehr dabei sein würde. Andere
Dinge warteten. Es war gut, jung zu sein und sich dessen einmal bewusst zu
werden. Es gab so vieles, das der Entfaltung harrte. Er hatte die Finger an der
Naht, tätschelte den Ball. Von hinten stampften Fußschritte heran. Keine Spur
von Wind, der Alptraum eines Schiffskapitäns, der Traum eines Quarterbacks. Nächstes Jahr bin ich nicht mehr dabei. Er stieß sich ab
und warf, so hoch und so weit er konnte, der Ball segelte in einem Bogen durchs
Blau auf Cavanaughs linke Hände zu, aber es kümmerte ihn nicht mehr, ob
Cavanaugh den Ball fing oder nicht, und als der Angreifer ihn erreichte und ihm
alle Luft entwich, konnte er sich nicht daran erinnern oder sich auch nur
vorstellen, dass es ihn jemals gekümmert haben könnte. Er war fünf oder sechs,
saß mit seinem Vater in der Sonne und zerteilte Kürbisse mit einem Messer. Die
kleinen vertrockneten Stiele waren wie Nadeln, die die Wollhandschuhe
durchlöcherten und in seine Hände stachen. Trotzdem liebte er Kürbisse, die
großen konnte er nicht einmal heben, und das Feld um sie herum war herbstbraun.

74
    —
    Die Harpooners standen an der Third-Base-Linie aufgereiht,
Schulter an Schulter, die Kappen vor die Harpuniere gehalten, die die

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