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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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beurteilen zu können, dass es
sich hierbei um ein nahezu vollkommenes Exemplar handelte. Vor ihm erstreckte
sich der See, besser als jeder Ozean. Wurde so etwas heutzutage im Speisesaal
serviert? Wenn ja, dann sollte man das Budget kürzen. Wenn ja, dann hätte er
häufiger dort essen sollen.
    Als nichts mehr von der
Suppe übrig war, steckte er sich eine weitere Zigarette an. Der Schmerz war in
seine Brust zurückgekehrt, zudem war er jetzt in der Schulter oder im
Schlüsselbein spürbar – irgendwo in dieser Gegend. Jeder Zug an der Parliament
schien ihn zu verschlimmern. Wenn er nicht aufhörte, wenn er noch einmal
wiederkam, dann würde Affenlight vielleicht den Arzt rufen müssen.
    Als er in seinem Büro
ankam, waren die Brustschmerzen schwächer geworden. Contango begrüßte ihn
freudig. Affenlight kraulte das zuckerweiße Nackenfell des Huskys und öffnete
Büro- und Haustür, damit Contango im Hof umherstromern konnte. Dann rief er die
Fluglinie an, um sein Ticket auf Henry umschreiben zu lassen, und den
Fahrdienst, um für sechs Uhr eine Tour zum Flughafen anzumelden. Es gab keinen
Grund, Henry eigenhändig zum Flughafen zu bringen. Ob er nach South Carolina fliegen
wollte oder nicht, war seine Entscheidung, genauso wie es im Büro des
Sportwarts Mike Schwartz’ Entscheidung gewesen war, den Job anzunehmen oder
abzulehnen. Diese Kinder waren nicht seine Kinder; sie waren überhaupt keine
Kinder mehr.
    Er lockerte seine Krawatte, goss sich einen ansehnlichen Scotch ein
und legte auf der schimmernden Kompaktanlage, die im Bücherregal untergebracht
war, Gounods Margarethe auf. Dann zündete er sich eine Parliament an und setzte sich an seinen
Computer, um Pella eine E-Mail zu schreiben.
    Liebe Pella,
    ich wollte dir nur sagen, dass ich heute Henry gesehen
habe. Er sieht ein wenig mitgenommen aus, aber er wird es überstehen.
    Er hielt inne, unsicher, was er noch schreiben sollte. Er wollte
ihr eine wahrheitsgetreue Nachricht schicken, aber in der wichtigsten,
heikelsten Angelegenheit hatte er nicht vor, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn
er Pella die Wahrheit sagte, würde sie von Westish fortgehen, ohne sich einmal
umzublicken. Er wollte, dass sie blieb. Aus rein praktischen Gründen, wie er
sich selbst sagte: Sie war angenommen worden. Ihre Studiengebühren wären gleich
null, vorausgesetzt, Gibbs hielt Wort. In Anbetracht ihrer Disziplinarakte an
der Tellman Rose, ihrer abgelaufenen Zulassungsbescheinigungen und des
nichtvorhandenen Highschool-Abschlusszeugnisses würde es wahrscheinlich zwei
Jahre dauern, sie in einer anderen halbwegs anständigen Hochschule
unterzubringen.
    Aber es gab auch egoistische Gründe, und vielleicht waren sie ihm in
Wahrheit die wichtigeren. Er brauchte sie hier. Ihn würde man so rasch und so
gründlich wie möglich aus dem Gedächtnis dieses Ortes löschen, sie hingegen war
der Teil von ihm, dem man gestattete zu bleiben. So war es abgemacht. Selbst
wenn er woanders wäre – der Himmel wusste, wo das sein würde –, brauchte er sie
hier. War das Irrsinn? Vermutlich war es das, nach dem, was sich heute
abgespielt hatte. Aber er konnte sich nicht einfach etwas anderes wünschen, nur
weil seine Wünsche irrsinnig waren. Er konnte Westish nicht hassen, nur weil es
ihn verstoßen hatte. Und er konnte nicht dulden, dass Owen und Pella es
hassten. Es war nicht schlechter als jeder andere Ort, und es war der Ort, an
den sie gehörten.
    Contango kam wieder
hereinspaziert, drehte eine Runde durch das Büro und ließ sich dann auf dem
Läufer nieder, den Kopf auf die Pfoten gelegt. Affenlight leerte den Scotch und
steckte sich noch eine Zigarette an. Er wusste nicht, was er Pella schreiben
sollte – das Sicherste war zunächst vielleicht, gar nichts zu sagen. Er musste
sich erst eine Geschichte zurechtlegen. Auch für Owen. Das würde noch
schwieriger werden – wie Owen aufgeben, ohne dass Owen wusste, warum? Owen
würde es mit ziemlicher Sicherheit herausbekommen, es gab genügend Hinweise,
die sich zu einem Ganzen zusammenfügen ließen, aber Affenlight konnte nicht
zulassen, dass Owen es herausbekam. Er konnte nicht zulassen, dass sich etwas
von der Last, von der Schuld seiner Verbannung auf Owens Schultern legte. Dass
er für Owen zur Belastung wurde oder sein Mitleid erregte, dazu durfte es nicht
kommen. Die Vorstellung sorgte dafür, dass ein Schmerz seine Brust durchzuckte,
der schlimmer war als der tatsächliche Schmerz, den er spürte, es sei denn,
dies war der

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