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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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steckte sich eine
Zigarette an. Eine Zeitlang war der Schmerz verschwunden gewesen, doch jetzt
kehrte er zurück, diesmal in seine Brust. Affenlight ließ sich auf der Armlehne
der rosaroten Stuhls nieder, um zu rauchen und ihn auszusitzen. Der Schmerz war
stark, aber nicht besorgniserregend – in letzter Zeit hatte er nach
körperlicher Verausgabung, ob mit Owen oder bei sich oben auf dem Laufband,
etwas Ähnliches gespürt, und er wusste, dass es vorbeigehen würde. Das tat es,
und er begann zu überlegen, was er mit Henry anstellen sollte.
    In seinem
Kleiderschrank schien es keine sauberen Sachen zu geben, also öffnete er Owens
Schrank und zog die Unterhose heraus, die am maskulinsten aussah. Er stöberte
weiter, bis er ein sauberes weißes T-Shirt und eine Jogginghose fand. Aus einem
anderen Schrankfach nahm er ein Handtuch, wickelte die Kleidungsstücke hinein
und schlüpfte, nachdem er die Schuhe ausgezogen hatte, um weniger Lärm zu
verursachen, zurück ins Badezimmer, wo er das Bündel neben der Wanne auf den
Schachbrettboden legte. Dann schloss er die Badezimmertür und klopfte dagegen.
»Henry«, rief er. »Bist du da drin?«
    Hinter der Tür waren
plätschernde Geräusche zu hören. »Sekunde«, ächzte Henry. Er klang schwach und
gequält. Affenlight hörte, wie Wasser aus der Wanne rauschte, durch die Rohre
gurgelte und mit einem schlürfenden Tusch verrann. Er drückte die Zigarette aus
und schnippte sie aus dem offenen Fenster. Nach einer Minute kam Henry in Owens
Sachen aus der Badezimmertür. Sein Blick war finster und unkommunikativ, als
wären seine Augen hinter dickem Glas gefangen. »Hey«, sagte er.
    »Hey«, antwortete
Affenlight mit gespielter Munterkeit, die er wer weiß woher nahm. »Ich hoffe,
ich habe dich nicht beim Baden gestört. Ich wollte dir nur sagen, dass …« Wie
sollte er es formulieren? Die Harpooners? Das Baseball-Team? Ihr? Wir?
Affenlight war jetzt noch weniger ein Teil des Wir als Henry, was dieser jedoch nicht wusste. »… wir heute gewonnen haben.«
    »Ich weiß.« Henrys
Stimme war flach und matt wie gewalzter Stahl. »Owen hat angerufen.«
    »Oh. Du hast mit Owen
gesprochen?«
    »Er hat eine Nachricht
hinterlassen.«
    »Ah.« Er sah
fürchterlich aus, abgemagert, die Wangen über dem Bart konkav und grau. »Wann
hast du zuletzt gegessen?«, fragte Affenlight.
    Henry dachte nach.
»Weiß ich nicht.«
    »Was hat es mit der
Suppe auf sich?«
    Er zuckte mit den
Schultern. »Pella bringt sie vorbei.«
    »Aber du isst sie
nicht.«
    »Nein.«
    Auf der Gehaltsliste von
Westish standen jede Menge professionelle Berater, die darin geschult waren,
eine Verbindung zu bulimischen, anorektischen, alkoholabhängigen, depressiven,
verzweifelten, drogensüchtigen, selbstmordgefährdeten Studenten herzustellen.
Der richtige nächste Schritt wäre wahrscheinlich gewesen, Henry in die Obhut
eines solchen Beraters zu geben. Sicher gab es irgendeine Campus-Hotline,
jemanden in der Krankenstube oder wie auch immer das heutzutage hieß, der rund
um die Uhr zu erreichen war. Jemand zum Reden. Eine außenstehende Person:
Affenlight hatte insgesamt vielleicht zehn Minuten mit Henry verbracht, aber
ihre Leben waren zu eng verschlungen. Owen. Pella. Henrys Eltern. All dieses
Wissen füllte den Raum und drohte ein Gespräch unmöglich zu machen.
    Da war dieses verdammte
Jahrbuch, es stand noch immer auf dem Kaminsims. Affenlight griff sich den
Baseball, der daneben lag. Das glatte weiße Fleisch des Balls hatte einige
abgewetzte Stellen, die leicht an seinen Fingerkuppen schabten. Inmitten seiner
verwirrten und verletzten Gedanken fiel ihm auf, dass ein Baseball ein sehr
schöner Gegenstand war – er schien geworfen werden zu wollen, ließ in ihm den
Wunsch aufkeimen, ihn mit einem kräftigen Wurf durch das offene Fenster und
über den taubengrauen Hof zu befördern. Während er ihn zwischen Handfläche und
Fingerspitzen hin und her rollte, fiel ihm auf, dass er etwas gesagt hatte.
    »Du fliegst morgen früh
nach South Carolina.«
    Henry sah ihn
ausdruckslos an.
    »Ich habe dir schon ein
Ticket gekauft«, sagte Affenlight.
    Henry legte sich auf
das ungemachte Bett, ein Ohr auf das Kissen gebettet. Sein Körper krümmte sich
und zog sich zusammen wie eine alte arthritische Hand oder eine Taglilie bei
Anbruch der Nacht. »Kann nicht«, sagte er. »Ich hab morgen Abschlussprüfung.«
    »Morgen ist Samstag.
Und nur Erstsemester haben Abschlussprüfungen.«
    »Heute«, sagte Henry
erschöpft. »Ich

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