Kunst des Feldspiels
völlig aus dem Konzept
gebracht, schüttete seinen Espresso auf einen Stapel mit Magisterarbeiten. Die
Gespräche und Prüfungen würden noch Monate in Anspruch nehmen, aber jener erste
Anruf hatte ihn derart ins Mark getroffen, dass er bereits wusste, es würde
dazu kommen. Nie wieder würde er mit je einer Doktorandin an jedem Ellbogen
durch den Yard spazieren, das Seminar bis in die Dämmerung hinein fortsetzen.
Nie wieder würde er einfach aus Spaß in den Shuttle-Bus springen, der zum
Flughafen LaGuardia fuhr. Und nie wieder würde seine aktuelle Publikationsliste
ihm den Schlaf rauben. Für ihn ging es nach Hause.
7
–
Guert Affenlight, sechzig Jahre alt, Präsident des Westish
College, tappte mit einem italienischen Halbschuh auf die verworfenen Dielen
seines Büros im Erdgeschoss der Scull Hall und ließ einen letzten Tropfen
lichtdurchschossenen Scotch im Glas kreisen. Auf dem kleinen Zweiersofa ihm
gegenüber saß Bruce Gibbs, der Vorsitzende des Hochschulrats. Es war der letzte
Nachmittag im März, im achten Jahr der affenlightschen Amtszeit.
Außer Affenlights Schreibtisch und dem Sofa enthielt der Raum zwei
hölzerne Stühle mit verstrebter Lehne und den Westish-Insignien, zwei hölzerne
Aktenschränke und eine Anrichte mit dunklen alkoholischen Getränken. In den
maßgefertigten Bücherregalen, die bis zur Decke reichten, standen in Leder
gebundene Bände aus dem und über das 19. Jahrhundert, ein eintöniges und
dennoch hübsches Meer aus Braun-, Oliv- und verblichenen Schwarztönen, neben
ordentlichen Reihen von Heftmappen und Journalen, die Geschäftliches des
Westish College enthielten, und die Stereoanlage aus gebürstetem Stahl, über
deren versteckte Boxen Affenlight sich seine Lieblingsopern anhörte. Seine
weitaus farbenfrohere Sammlung von theoretischer Literatur und Belletristik der
Nachkriegszeit bewahrte er oben in seinem Arbeitszimmer auf, zusammen mit der
Handvoll wirklich kostbarer Bücher, die er besaß – frühe Ausgaben von Walden, Ein Yankee
aus Connecticut an König Artus’ Hof und sowohl eine Reihe weniger
bedeutsamer Romane von Melville als auch das Buch . Es gab so viele
Bücherregale, dass nur Platz für ein einziges Kunstwerk war, ein schwarz-weißes
handgemaltes Schild, das Affenlight vor Jahren in Auftrag gegeben hatte und das
zu seinen kostbarsten Gegenständen zählte: HIER BITTE KEIN
SELBSTMORD, stand darauf, UND IM SALON BITTE NICHT
RAUCHEN.
Gibbs’ Gehstock, den er
nie Krückstock nannte, lehnte seitlich am Sofa. Gibbs sank tiefer ins Leder,
ließ die bernsteinfarbene Flüssigkeit im Glas rotieren und sah auf den einsam
dahinschmelzenden Eiswürfel hinab. »Torfig«, sagte er. »Sehr gut.«
Affenlights Scotch war
längst leer, aber wenn er sich nachschenkte, würde das Gibbs ermuntern, noch zu
bleiben. Die kühle Luft vom Fensterbrett in seinem Rücken erinnerte ihn daran,
wie gern er jetzt draußen gewesen wäre, am Baseballfeld, bevor er nach
Milwaukee fuhr, um Pella vom Flughafen abzuholen.
Gibbs räusperte sich.
»Ich bin irritiert, Guert. Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, neue Projekte
so lange hintanzustellen, bis wir finanziell saniert sind. Wir haben an den
Märkten ziemlich einstecken müssen, wir verlieren mehr und mehr Finanzhilfen,
und« – er sah Affenlight unverwandt in die Augen – »über Spenden kommt fast
überhaupt nichts herein.«
Affenlight verstand die
Warnung. Er war der Geldbeschaffer, das Gesicht der Universität. In seinen
ersten Jahren hier hatte er die erfolgreichste Finanzkampagne in der Geschichte
von Westish auf die Beine gestellt. Aber die Wirtschaftslage der letzten Jahre
– der Kollaps, die Krise, die Rezession, wie auch immer man es nannte – hatte
sowohl diese Gewinne abgetragen als auch die Sponsoren verschreckt. Sein
Einfluss im Hochschulrat, einst nahezu grenzenlos, nahm langsam ab.
»Und jetzt«, fuhr Bruce
fort, »legst du plötzlich all diese neuen Vorhaben auf den Tisch. Thermische
Solaranlagen. Komplett CO 2 -neutrale Technik. Automatische
Temperaturabsenkung. Guert, woher kommt dieser ganze Schwachsinn?«
»Von den Studenten«,
sagte Affenlight. »Ich habe mit einer Reihe studentischer Gruppen eng
zusammengearbeitet.« Eigentlich hatte er nur mit einer einzigen Studentengruppe
eng zusammengearbeitet. Gut, eigentlich nur mit einem einzigen Studenten – dem
einen Studenten, wegen dem er gerade unbedingt zum Baseballfeld wollte, um ihn
spielen zu sehen. Aber davon brauchte Gibb nichts zu wissen. Dass die
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