Kunst des Feldspiels
der Seide, jede einzelne stand im Bug
eines winziges Bootes. Und jede hielt neben dem Kopf eine Harpune im Anschlag,
bereit, sie auf eine Herde unsichtbarer Wale zu schleudern. Affenlight besaß
auch die umgekehrte Figur-Hintergrund-Variante, bei der die marineblauen Harpuniere
auf naturweißer See dümpelten. Das waren die Farben der Harpooners: Der Batter
am Schlaghügel trug ein pergamentfarbenes Trikot mit dunkelblauen
Nadelstreifen.
Während Affenlights
ersten Studienjahren, als sie noch Sugar Maples hießen, hatten die Mannschaften
von Westish eine ziemlich hässliche Kombination aus Gelb und Rot getragen, eine
Hommage an die Herbstfärbung des offiziellen Baumes des Bundesstaats. Der
Wechsel zu den Harpooners wurde kurz nach Affenlights Abschluss bekanntgegeben
und war eine direkte Folge seiner literarischen Entdeckung. Gegen Ende seiner
Vorlesung, als er seinen Gastgebern für ihre Gastfreundschaft dankte, hatte
Melville folgenden Satz gesagt, den Affenlight nun schon lange auswendig
kannte: »Voll Demut bin ich ob der überwältigenden Schönheit Westishs und der
Großen Seen, jener verborgenen Sehne Amerikas sich inwendig sammelnder Meere.«
Der Hochschulrat, der einen solch beredten Fürspruch nicht ungenutzt lassen
wollte, errichtete 1972 zu Melvilles Ehren auf dem Campus eine
Statue, in deren Sockel man diese Worte gravieren ließ. Gleichzeitig wurde der
Name der Sportmannschaften in Harpooners und ihre Farbkombination in
Marineblau-Naturweiß geändert – was, wie Affenlight annahm, auf den von
Melville bewunderten See und die vom Alter verblichenen Seiten, auf denen er
seiner Bewunderung Ausdruck verliehen hatte, anspielen sollte.
Damals hätte einem das
Ganze als ziemlich weit hergeholt, wenn nicht als lächerliche Verzweiflungstat
erscheinen können – sich mehr als tausendsechshundert Kilometer von Melvilles
Lebensmittelpunkt entfernt seiner zu bemächtigen, neunzig Jahre nach einem
Besuch, der nur einen einzigen Tag gedauert hatte. Aber die Umfirmierung war
den Umständen entsprechend glatt gelaufen. Die neue Farbkombination sah auf Abzeichen
oder Prospekten in jedem Fall würdiger aus, und die Sportler freuten sich, dass
ihre Mannschaften nicht nach einem Baum benannt waren. Außerdem hatte sich an
der Universität über die Jahre hinweg ein blühender Melville-Kult entwickelt,
sodass man über den Campus laufen und Mädchen mit T-Shirts sehen konnte, auf
denen vorn ein Wal abgebildet war und hinten die Worte WIR HABEN DEN LÄNGSTEN – WESTISH COLLEGE standen, oder in den Buchladen gehen
und Melville-Büsten als Schlüsselanhänger kaufen oder Poster mit dem kompletten
Text von »Die Leeküste« fürs Wohnheimzimmer. Broschüren, Bewerbungsunterlagen
und die Internetseite waren durchwoben von Melville-Zitaten. Ein Seminar mit
dem Titel »Melville und seine Zeit« war eine der wenigen regelmäßigen Veranstaltungen
im Rotationssystem der Englischen Fakultät – Affenlight hoffte, eines Tages die
Zeit zu haben, sie zu übernehmen –, und die Bibliothek hatte eine kleine, aber
bedeutende Sammlung an Melville-Schriftstücken und Briefen erworben. Affenlight
fühlte sich einerseits vom akademischen Erbe seines Helden beflügelt,
verzweifelte aber gleichzeitig daran, wie sehr dieser dabei zu kommerziellem
Ramsch verkam; aber so naiv zu glauben, das eine ohne das andere haben zu
können, war er natürlich nicht. Der Buchladen machte ein reges Geschäft mit dem
Ramsch, man verschickte ihn in alle Welt.
Auf der bejahrten
Anzeigetafel hinter dem linken Centerfield stand WESTISH 6 GÄ TE 2. Der Wind kräuselte den See in gereizten Böen. Die paar Dutzend Fans
der Heimmannschaft, die meisten davon Eltern und Freundinnen der Spieler,
drängten sich unter Decken zusammen und nippten an Styroporbechern mit
koffeinfreiem Kaffee, der schon lange nicht mehr dampfte. Ein paar Väter –
diejenigen, die für koffeinfreien Kaffee zu kernig waren, die auf Hirschjagd
gingen – standen breitbeinig in einer Reihe entlang des Maschendrahtzauns, der
die Spielerbank abschirmte. Die Hände tief in den Jackentaschen vergraben,
wechselten sie zwischen Hacke und Fußspitze hin und her und rechneten sich
gegenseitig aus den Mundwinkeln murmelnd die mentalen Defizite ihrer Söhne vor.
Affenlight hatte das Gefühl, mit nur einem Überzieher über dem wollenen Anzug
und weder Hut noch Handschuhen unzureichend angezogen zu sein. Der eine Scotch,
den er mit Gibbs getrunken hatte, produzierte noch immer einen Hauch
Weitere Kostenlose Bücher