Kunst des Feldspiels
von einem Dutzend Messgeräten fest. Mit derselben Regelmäßigkeit hielt er
seine einsamen Gedanken in karierten Notizbüchern fest, wobei er versuchte, sie
möglichst tiefgründig klingen zu lassen.
Nach diesen vier Jahren
kehrte er in den Mittleren Westen zurück. Er war jetzt fünfundzwanzig, im
besten Entfaltungsalter, und es wurde Zeit, einen Roman zu schreiben, so wie
sein Held es getan hatte. Er bezog ein billiges Apartment in Chicago und machte
sich an die Arbeit, doch obwohl der Papierstoß wuchs, machte sich gleichzeitig
Verzweiflung breit. Einen Satz zu schreiben war einfach, wollte man hingegen
ein Kunstwerk erschaffen, so wie Melville, musste
jeder einzelne zu dem vorangegangenen passen und zu dem ungeschriebenen, der darauf
folgen würde. Und jeder dieser Sätze musste sich bündig zwischen die Sätze
links und rechts von ihm einfügen, sodass aus dreien fünf, aus fünfen sieben
und aus sieben neun werden konnten und jeder einzelne Satz, den er schrieb, zu
der unsicheren Stütze wurde, auf der das ganze wackelige Gebäude fußte. In
diesem Satz konnte es um alles gehen, absolut alles ,
er verhieß jene Art absoluter Freiheit, die aus Affenlights Sicht dem Künstler
und nur dem Künstler gehörte. Und doch war er dem allerersten des Buches und
dem allerletzten noch ungeschriebenen verpflichtet, genauso wie jedem anderen
dazwischen. Jede Formulierung, jedes Wort erschöpfte ihn. Er dachte, dass
vielleicht der Lärm der Stadt das Problem war, sein öder Job tagsüber, sein
Trinken, also gab er das Zimmer auf und mietete auf einer Hippie-Farm in Iowa
ein Nebengebäude. Dort aber, allein mit seinen Ängsten, ging es ihm noch
schlechter.
Er kehrte nach Chicago
zurück, nahm einen Job als Barkeeper an und widmete sich wieder der Lektüre.
Bei jedem neuen Autor fing er am Anfang an und arbeitete sich bis zum Ende vor,
genau wie bei Melville. Als er das Amerika des 19. Jahrhunderts
erschöpft hatte, erweiterte er den Radius. Indem er sich derart viele Bücher
einverleibte, versuchte er sich von seinem eigenen Versagen als Autor zu
läutern. Das funktionierte nicht, aber er hatte Angst vor dem, was kam, wenn er
damit aufhörte.
An seinem dreißigsten
Geburtstag lieh er sich ein Auto und fuhr hoch nach Westish. Professor Oxtin
lebte Gott sei Dank noch und war zurechnungsfähig. Affenlight erinnerte den
alten Mann mit ruhiger Bestimmtheit, die von seiner Verzweiflung herrührte, an
das i-Tüpfelchen, das die Melville-Vorlesung seiner Karriere aufgesetzt hatte,
und an Oxtins Verfehlung, ihn in dem Atlantic -Artikel
zu erwähnen. Der alte Mann lächelte vage, nicht recht bereit, den Vorwurf
anzunehmen oder anzufechten, und fragte, was Affenlight wollte.
Affenlight sagte es
ihm. Der alte Professor hob eine Augenbraue und lud ihn in die Campus-Kneipe
ein. Dort, beim Bier, führte er eine mündliche Stegreif-Prüfung durch, die von
Chaucer bis Nabokov alles abdeckte, sich aber im Wesentlichen um Melville und
seine Zeitgenossen drehte. Zufrieden, vielleicht sogar beeindruckt, tätigte der
alte Mann den Anruf.
In jenem September trimmte
Affenlight seinen Bart, kaufte sich einen Anzug und begann in Harvard sein
Promotionsstudium der Amerikanischen Zivilisationsgeschichte. Dort wurde er zum
ersten Mal – ein paar vom Glück begünstigte Momente auf dem Football-Feld
ausgenommen – zum Star. Die meisten seiner Kommilitonen waren jünger als er,
und keiner brachte ein derart entschlossenes Verständnis gegenüber der
Literatur seiner Wahlepoche mit. Affenlight konnte mehr Kaffee trinken als alle
zusammen, vom Whiskey ganz zu schweigen. Als monomanisch bezeichneten sie ihn, ein spaßiger Verweis auf Kapitän Ahab. Und wenn er im
Seminar etwas sagte – was er pausenlos tat, da er plötzlich so viel zu sagen
hatte –, nickten sie zustimmend mit den Köpfen. Seine Schreibmaschine spuckte
in der gleichen Zeit, die es ihn gekostet hatte, nur einen einzigen Absatz
seines noch immer nicht ganz vergessenen Romans zu schreiben, dreißigseitige
Aufsätze aus.
Zu Beginn fiel es ihm
gar nicht leicht, die neu entdeckte Leichtigkeit auch zu genießen. Er selbst
sah sich als gescheiterten Schriftsteller, nicht mehr, und ein paar Bücher
gelesen zu haben erschien ihm nicht als Verdienst oder Zeugnis von Größe. Bald
aber entschied er – entweder weil es stimmte oder weil er wollte, dass es
stimmte –, dass die akademische Welt eine war, die zu erobern sich lohnte. Man
konnte Stipendien gewinnen, in Zeitschriften publizieren
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