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Kunst des Feldspiels

Kunst des Feldspiels

Titel: Kunst des Feldspiels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Harbach
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ANTITHESE . Nun, dachte Affenlight, mehr gibt es
eigentlich wirklich nicht zu sagen.
    Die meisten der Phumber-Bewohner waren Studienanfänger, die sich ob
ihrer unlängst erkämpften Freiheiten noch immer im Ausnahmezustand befanden.
Der oberste Stock hingegen vermittelte mehr Gesetztheit. Kein Krach, kein
Geschirr, keine obszönen Kritzeleien. Es gab nur zwei Türen, zu jeder Seite des
schmalen Treppenabsatzes eine. Affenlight wandte sich der linken zu und
klopfte. Er wollte nicht, dass Henry Skrimshander da war, damit er mit Owens
Sachen allein sein konnte – nicht um herumzuschnüffeln, bewahre, sondern
einfach nur um zu sein –, und war deshalb froh, als niemand antwortete. Stimmen drangen durchs
Treppenhaus herauf. Er steckte den Schlüssel ins Schloss und schlüpfte ins
Zimmer.
    Es war eindeutig Owens:
ordentlich und voller Bücher, in der Luft lag entfernt der Duft von Marihuana.
In vielerlei Hinsicht war es besser ausgestattet als Affenlights Wohnung: Es
gab sprießende Pflanzen, Bilder an den Wänden, flache, silbrige Elektronik. Die
Unordnung war lediglich auf ein ungemachtes Bett beschränkt.
    Nicht bummeln, dachte
er. Keine Bücher durchblättern. Nimm das, wofür du gekommen bist, und geh. Er
suchte alle Oberflächen nach einer Brille ab. Es war klar, welcher Schreibtisch
Owen gehörte – der ordentlichere der beiden. Als Affenlight sich darüberlehnte,
stieß er mit dem Handgelenk leicht gegen die Maus, die an Owens Computer
angeschlossen war. Mit einem Surren erwachte der Bildschirm zum Leben. Er konnte
nicht anders, als hinzusehen. Im Internet-Browser war das Bild eines Mannes
geöffnet, eines muskulösen, gebräunten, haarlosen, eingeölten Mannes in seinen
Zwanzigern, der sich auf einem Holzstuhl räkelte und mit einer Hand die Spitze
seines erigierten und übergroßen Penis umfasst hielt, als wäre es die
Gangschaltung von Affenlights Audi. Affenlight ließ den Laptop zuschnappen und
versuchte die Topfpflanzen zu bestimmen, die auf dem Fensterbrett wuchsen.
Minze. Basilikum. Und war das dort Thymian? Richtig, Thymian.
    Das erste definierbare
Gefühl, das sich in sein Gehirn vorarbeitete, war Enttäuschung. Owen wird mich
niemals wollen, dachte er. Wenn es das ist, was Owen will, wird Owen mich
niemals wollen. Womöglich hatte er Owen als Geistesmenschen gesehen, als reinen
Geist, der sich mit dem eigenen vermengen ließ, aber so recht stimmen konnte
das ja wohl nicht, oder? Auch Owen war Körper, hatte ein Verlangen nach Körpern
– und was das anging, welche Gefühle hatte Affenlight eigentlich Owens Körper
gegenüber? Verspürte er ein sexuelles Verlangen? Denn diese Website, dieses
Foto – das war sexuell. Das war es, wo er hier hineingeriet oder
hineinzugeraten versuchte. Nicht dass Owen ihn wollte. Aber falls er ihn wollte
– falls Owen, was ihm mit jeder Sekunde weniger wahrscheinlich vorkam, diesen
alternden, pastösen Körper wollte, der für sechzig super, für vierzig okay, für
zwanzig aber indiskutabel war –, würde er im Gegenzug auch Owens Körper wollen?
Das hatte er angenommen, hatte irgendwie auch darüber fantasiert, aber
verglichen mit den scharfen Konturen der Fotografie waren seine Fantasien bloße
Zärteleien, stille Vertraulichkeiten, süße Unschuld und Abstraktion.
    Zwei Sorten von Fragen
wirbelten Affenlight durch den Kopf – die eine betraf Owens erotisches Verlangen,
die andere sein eigenes. Noch nie hatte er eines von beidem mit harter
Pornographie in Verbindung gebracht. Und doch war da die Website, genau vor
ihm. Ein wenn auch nur kleiner Teil von Owens Leben, und nun, weil er sein
Nicht-Herumschnüffeln-Diktum gebrochen hatte, auch seines eigenen. Er hob den
Deckel des Laptops und machte sich bereit, hinzuschauen und wahrzunehmen, wie
er reagierte. Auf der Treppe waren wieder Schritte zu hören – aber diesmal
verhallten sie am Absatz des dritten Stocks.
    Als Henry endlich im Speisesaal ankam, war die Salatbar bereits
abgeräumt, die Behälter aus rostfreiem Stahl im Vorspeisen-Bereich von den
Ständern genommen und ausgeleert worden. Über ein Campus-Telefon rief er Rick
O’Shea an, um ihn zu fragen, ob er mit ins Carapelli’s wollte.
    »Sorry, Skrimmperator«, sagte Rick. »Starblind und ich haben schon
vor einer Weile gegessen. Was ist denn mit dem Großen?«
    »Sitzt an seiner
Arbeit.«
    »War klar. Hör zu, ich
hab Grandma O’Shea auf der anderen Leitung. Sie erzählt mir gerade, warum
Clinton fast ein besserer Präsident als Jack Kennedy
war.

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