Kunstraub im Städel
vorankommen könnte. Er notierte sie sich in krakeliger Handschrift.
Der Mond zog schon einsam seine Bahnen, als er sich verabschiedete und zu seinem Bauwagen wankte. Von der Grazilität eines Seidenreihers war keine Spur mehr. Mit den Worten „Verflucht, ich hab doch keinen Bildungsauftrag. Alles Quatsch, hier“ legte er sich schlafen. Besser: Er fiel in Ohnmacht.
–
Am nächsten Morgen ging Herr Schweitzer zunächst davon aus, dass er tot war. Er hatte Kopfschmerzen wie noch nie zuvor. Irgendwer hämmerte mit einem scharfen wuchtigen Gegenstand von innen gegen seine Schädeldecke. Wahrscheinlich der Teufel, der ihn in seinem Reich mit einer kleinen Foltereinlage willkommen hieß.
Einige Zeit später war ihm klar, dass die Realität eine andere war. Er war gar nicht tot. Noch hatte er kein Auge aufgetan. Er überlegte, warum er diesen Auftrag angenommen hatte, obwohl er doch den Sommer in der Hängematte verbringen wollte. Ohne Kopfschmerzen, wohlgemerkt. Er schimpfte sich einen riesengroßen Deppen, der sich nicht im Griff hatte und dessen sieben Sinne nahezu zerstört sein mussten. Wie kann sich ein Mensch, der von sich behauptete, stets alle Aspekte zu bedenken, aus freien Stücken auf dem berühmt-berüchtigten Campingplatz Gaul einquartieren?
Doch damit nicht genug. Von draußen drang ein Gekreische an sein Ohr, welches bar jedweder, wie auch immer gearteten menschlichen Sozialisation war.
Weib: „Du Depp. Ich hab dir dein scheiß Geld net geklaut.“
Kerl: „Selber Depp. Meinst du, ich hab’s mir selber geklaut, oder was? Wahrscheinlich hast du’s schon versoffe, hä? Stimmt doch, geb’s doch zu. Versoffe, du Dreckschlampe, du.“
Weib: „Ich geb dir gleich was, von wesche Schlampe, du Hornochs, du blöder. Un en Schlappschwanz biste aach noch, nur damit d’es weißt. Depp.“
Kerl: „Dann hau doch endlich ab. Ich kann dei Visage eh net mehr seh’n.“
Weib: „Des mach ich aach. Kannst dich druff verlasse, du Penner. Wirst schon seh’n, morsche bin ich fort. Des haste dann davon. So!“
Kerl: „Wer’s glaubt, wird selig.“
Und dann folgte ein klatschendes Geräusch, das stringent auf Handgreiflichkeiten deutete. Unter normalen Umständen wäre Herr Schweitzer nun aufgestanden, hätte nachgesehen, ob jemand verletzt war, und gegebenenfalls beschwichtigend eingegriffen. Doch hier befand er sich auf rechtsfreiem Territorium, wo andere Gesetze galten. Gesetze aus einer Zeit, als Hexenverbrennungen noch als Volksbelustigungen zelebriert wurden. Herr Schweitzer schwor Stein und Bein, hier keine Sekunde länger als notwendig zu verweilen. Das hieß, er musste in die Gänge kommen, und zwar sofort.
Seinen Schmerz im Kopf als gottgegeben hinnehmend erhob er sich, zog die Hose an und marschierte strammen Schrittes zu den sanitären Anlagen. Die Streithähne hatten sich verzogen.
Vier Minuten lang folterte er seinen Körper mit eiskaltem Wasser, ehe er sich einseifte. Dann wiederholte er den Eiswasser-Vorgang, bis er es nicht mehr aushielt. Am Kiosk ließ er sich von Jupp drei kleine Flaschen Cola geben. Die waren für die Brandbekämpfung. Noch auf dem Weg zum Bauwagen leerte er die erste.
Dann entzifferte Herr Schweitzer seine krakelige Handschrift von gestern und rief Marlon Smid an. Er fragte, wie viele Tage es dauerte, ein Foto zu fälschen, auf dem eine hübsche Frau gemeinsam mit dem gesuchten Konstantinos Tziolis zu sehen sein würde, am besten in ausgelassener Urlaubsstimmung. Die Antwort überraschte ihn.
„Null Problemo, Kumpel. Wir sind doch Profis. Lass mir zwei Stunden Zeit, ich bring’s dir vorbei.“
Marlon Smid unterbrach die Verbindung, ohne Herrn Schweitzer die Gelegenheit zu geben, noch etwas zu sagen. Dieser schaute verdutzt sein Handy an. Schau mal einer an, dachte er, so schnell geht das also bei professionellen Detektiven.
–
Der Auftritt des Meisterdetektivs am Mainufer war ungefähr so spektakulär, als würde ein ausgewachsenes Krokodil mit Cowboyhut und Patronengurt über den Champs-Élysées stolzieren und Freikarten für eine Kinovorführung verteilen. Er blieb nicht unbeobachtet. Zu weißen Lackschuhen trug Smid ein gelbes Hemd mit hellgrüner Krawatte unter einem lila Anzug. Und das bei dieser Hitze!
„Sag mal, Simon, was will der Wischt da vorne an der Rezeption eigentlich von mir? Faselt mir das Ohr voll, ich hätte ihm die Frau ausgespannt“, lautete seine Begrüßung.
„Ach, das ist der Tobi. Der ist immer so.“
„Und die Knarre? Ist die
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