Kunstraub im Städel
Frühschoppen, wo auch immer.
Marlon Smid konnte nicht anders. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Heidi nach. „Herr im Himmel, lass das ein Alien sein“, entfuhr es ihm.
„Träum weiter“, erwiderte Herr Schweitzer. „Noch ein paar weitere Jahre mit unserer Hartz-IV-Entwicklung, dann hast du solche Leute überall.“
Der Meisterdetektiv blickte abwechselnd Herrn Schweitzer und die mäandernde Heidi an, die noch gerade so eben eine Kollision mit der freistehenden Mülltonne verhindern konnte. „Du, Simon, nichts für ungut, aber ich muss jetzt gehen.“
Natürlich hätte sich Herr Schweitzer der Flucht gerne angeschlossen. Schon jetzt vermisste er seine Maria, das Kätzchen und sein Leben, das so ganz anders war als das hiesige Treiben. Vergessen wir dabei nicht das Weinfaß, seine Stammkneipe, in der edle alkoholische Getränke serviert wurden, die nicht gleich in Körperverletzungen kulminierten.
Als Marlon Smid fort war, entschloss sich Herr Schweitzer zu seinem ersten Rundgang über den Campingplatz, der sich längs ans Mainufer schmiegte.
Auch wenn er hier nie freiwillig sein Domizil aufgeschlagen hätte, so übte das Ambiente doch einen gewissen Zauber auf ihn aus. Viele Baracken und Bretterverschläge hatten etwas ursprünglich Primitives. Bei einigen konnte man die Spuren des letzten Hochwassers erkennen. Kurz vor dem Zaun, der den Platz am unteren Ende begrenzte, waren zwei Boote unterschiedlicher Größe zwischen Ligusterhecken abgestellt und mit der Zeit mit ihnen verwachsen. Schon seit Jahren kümmerte sich niemand mehr um sie. Über einen morschen Schemel hätte man in das kleinere Boot einsteigen können. Herr Schweitzer ging näher und strich über das Holz. Bei der geringsten Berührung blätterte noch mehr von der einst roten Farbe ab. Außer den ihm schon vom gestrigen Abend her bekannten Leuten zählte er sieben neue Gesichter. Unter anderem vier junge Punks, darunter auch ein Mädel. Sie hausten in einem ähnlichen Bauwagen wie Herr Schweitzer, nur viel baufälliger und mit Graffitis überzogen. Er grüßte höflich. Sie grüßten zurück.
Nach seinem Inspektionsgang entdeckte er im einzigen Schränkchen unter einem verdreckten Badetuch eine etwas angestaubte Hängematte. Er trug sie nach draußen und schüttelte sie aus. Eine Spinne zeigte sich auch nach ihrem Tode noch widerspenstig. Angeekelt schnippte Herr Schweitzer mit dem Finger nach ihr. Mehrere Versuche brauchte er, ehe sie ins Gras segelte. Dann schätzte er die Entfernung zur Kastanie. Er würde noch ein Seil brauchen, um sie zwischen Baum und Bauwagen zu befestigen. Es galt, sich auch in stürmischen Zeiten und an unwirtlichen Orten noch etwas vom Paradies zu sichern.
Und Fensterputzen war auch noch angesagt.
–
Während Herr Schweitzer am Main sein handwerkliches Können unter Beweis stellte, stand in Andorra der Conte vor einem Problem. Soeben hatte ihn die Nachricht erreicht, der Obstlaster sei kurz nach der französischen Grenze verunglückt.
Bis auf die von Pedro, dem Fälscher, verursachte Verzögerung, war bislang alles nach Plan verlaufen. Fast schien es, als sei ihnen das perfekte Verbrechen gelungen. Aber so ist das halt manchmal, die schwierigsten Dinge gelingen scheinbar mühelos und bei solchen, von denen eigentlich keine Probleme zu erwarten waren, unterlaufen die Pannen.
Nun war also der Laster, auf dem zwischen Obstkisten der falsche Holbein versteckt und der auf dem Weg zur Frankfurter Markthalle war, in einen Verkehrsunfall verwickelt. Der Schaden sei nur klein, die Fracht unversehrt, doch leider sei die Achse bei einem Ausweichmanöver über den Bürgersteig gebrochen und der Fahrer zur Beobachtung in ein Krankenhaus gebracht worden. Der Conte betrachtete seine sorgfältig gefeilten Fingernägel und dachte über mögliche Auswirkungen des Missgeschicks nach. Selbst wenn das Gemälde von Unbefugten entdeckt wurde, so glaubte er nicht, dass ein profaner Angestellter des Abschleppunternehmens genügend Kunstverstand aufbrachte, um einen Holbein zu erkennen. Trotzdem durfte er nichts riskieren. So, wie die Dinge standen, war es wohl am besten, den Spediteur, der die Sache eingefädelt und einen Batzen Geld bekommen hatte, anzurufen, um ihm seine Entscheidung mitzuteilen, dass er sicherheitshalber den Ersatzwagen bis nach Frankreich begleiten werde.
Er zog ein mürrisches Gesicht und ging zum antiken Telefon, einem Erbstück aus Onyx.
–
Man konnte Herrn Schweitzer nicht vorwerfen, er lerne
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