Kunstraub im Städel
Doch dieser wäre womöglich auf die nahe liegende Idee gekommen, seine Kollegen zu benachrichtigen. Aber der Sachsenhäuser Detektiv wollte sich den ewigen Ruhm als Wiederbeschaffer der geklauten Städel-Gemälde von keinem abspenstig machen lassen. Er sah sich schon von Fotografen umringt neben Petra Roth, der Frankfurter Oberbürgermeisterin, stehen, die ihm tief und innig ihren Dank für seinen heldenhaften Einsatz für die Kultur aussprach. Also ließ er es bleiben.
Kein Lüftchen wehte, als er den Weg runter zur Rezeption ging, wo Jupp und Tobi herumlungerten.
Jupp: „Na, wo kommst du denn her? Warst gar nicht in deiner Villa, heute Morgen.“
„Tust wohl beim Frühschoppen gewesen sein“, sekundierte Tobi.
Die Hoffnung, still und leise seine sieben Sachen zusammenzupacken und auf ewig zu verduften, hatte sich abrupt zerschlagen. Doch damit nicht genug. Beim qualmenden Grill hockten Stadi, der Totschläger, Jägermeister und, Herr Schweitzer trauten seinen Augen nicht, der allseits bekannte Nackte Jörg. Ein Sachsenhäuser Charakterkopf, ähnlich mit Ruhm behaftet wie der Goethe-Turm. „Was macht denn der Nackte Jörg hier?“, entfuhr es ihm. Verblüffung stand Herrn Schweitzer ins Gesicht geschrieben.
Tobi und Jupp blickten sich fragend an.
„Na, der da. Der Nackische.“
„Aaaaah.“ Jupp hatte es fast gesungen.
„Du tust Werner meinen“, ergänzte Tobi.
Herr Schweitzer kapierte überhaupt nichts mehr. „Ach, hat der Jägermeister doch einen richtigen Namen?!“
Nun war es an Jupp und Tobi, verdutzt aus der Wäsche zu gucken.
Jupp fing sich als Erster: „Nee, nee, du. Der Jägermeister heißt komisch.“
Tobi: „Genau.“
Jupp: „Gawan Sorgenbrat.“
Tobi: „Genau, Gawan Sorgenbrat tut der Jägermeister nämlich heißen. Das ist ihm aber peinlich. Deshalb tut ihm Jägermeister lieber sein.“
Herrn Schweitzers kognitives Weltverständnis näherte sich dem finalen Zusammenbruch. Wollen die mich verarschen? „Also, noch einmal von vorne: Da sitzt doch einer ohne Klamotten. Oder täusche ich mich?“
„Nee, tust du nicht“, kicherte Tobi. „Das ist unser Werner.“
Jupp Wachtelau: „Werner kommt manchmal auf ein Bier hier vorbei, im Sommer. Aber er hat eine richtige Wohnung. Deshalb wohnt er auch nicht auf dem Platz. Das mag dir seltsam vorkommen. Du bist nicht der Erste, der sich die Augen reibt. Aber Werner darf nackisch durch die Gegend spazieren. Das hat er sogar gerichtlich bestätigt bekommen.“
„Genau, hat er, unser Werner“, bestätigte Tobi.
So langsam dämmerte es Herrn Schweitzer. Der Nackte Jörg und der Nackte Werner waren ein und dieselbe Person. Nur dass der Jörg sich hier Werner nannte. Aber warum? Wozu sollte das gut sein? Hatte der Nackte Jörg etwas verbrochen und war hier untergetaucht? Kann ein nackter Mann überhaupt, wenn auch unter falschem Namen, irgendwo inkognito sein? Aber nein, sagte er sich, Jupp hat ja gesagt, dass er eine Wohnung habe und nur gelegentlich hier sei. Und diese Wohnung, so viel war ihm und den meisten Sachsenhäusern bekannt, lag in einem der Hochhäuser oben in der Mailänder Straße gegenüber des Südfriedhofs. So weit, so gut. Aber warum diese mysteriöse Identität? Er grübelte und grübelte, kam aber nicht dahinter.
Und während Herr Schweitzer so grübelte und grübelte, wurde er von Jupp unterbrochen: „Du siehst schlecht aus. Vielleicht solltest du dich mal ein wenig mit Kosmetik herrichten.“
Tobi lachte sich ins Fäustchen.
Das brachte ihn in die Realität zurück. Herr Schweitzer erinnerte sich wieder an den eigentlichen Grund seines Herkommens. „Kinners, ich ziehe heute aus. Hab eine Wohnung, vom Sozialamt. Hol nur noch schnell meine Sachen. Ich fahre mit meinem Auto zum Bauwagen, dann geht’s schneller.“
„Schade“, sagte Jupp. „Du hast gut hierher gepasst.“
Das sah Herr Schweitzer völlig konträr. Wenn er irgendwo definitiv nicht hinpasste, dann war es dieser merkwürdige Ort hier, auch wenn er Jupp und Tobi auf eine ihm nicht erklärbare Weise ein bisschen ins Herz geschlossen hatte.
Einen Moment lang sah es so aus, als sei die Sache damit erledigt. Aber nein, es war noch nicht vorbei. Der Nackte Jörg, der die ganze Zeit mit der Seite zu ihm auf einem Stuhl gesessen hatte, drehte sich plötzlich um. Und: erkannte ihn. „Hallo, hallo, Simon. Wie geht’s dir?“
„Hallo … äh, Werner.“ Herr Schweitzer hatte gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt, bevor er noch mehr Verwirrung
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