Kunstraub im Städel
sich nach innen. Das sah sehr lustig aus. Der Betonboden war voller Dreck und Staub, aber was tut man nicht alles für Kunst und Ehre. Dann stand Herr Schweitzer und rieb sich die Hände. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an das diffuse Licht.
Er sah sich um. An der Wand neben dem Fenster, durch das er eingestiegen war, waren Paletten gestapelt, über und über mit Spinnweben benetzt. Daneben ein kleiner Wagenanhänger aus Leichtmetall mit platten Reifen. Die Rücklichter waren zersplittert und Drähte hingen lose heraus. In der Mitte der Halle befanden sich zwei etwa vier Meter hohe Reihen leerer Metallregale. Vereinzelt standen ein paar angerostete Gitterboxen herum. Die Aufschrift Deutsche Bundesbahn war noch deutlich zu erkennen. Mit einem Filzstift hatte jemand FRA auf die angeklebten, mittlerweile vergilbten Zettel geschrieben. FRA für Frankfurt. Außerdem noch ein paar Abkürzungen mit weißer Kreide.
Systematisch durchquerte er die völlig verdreckte Halle. Doch keine Spur von den Gemälden. Bin ich zu spät, fragte sich Herr Schweitzer. Waren die schon da und haben alles abgeholt? War vielleicht der ganze Fall schon abgeschlossen und Gemälde sowie Lösegeld bereits übergeben? War er wegen nix und wieder nix hier eingestiegen? Ein Jammer wäre das. Mist, ich hätte vorher vielleicht mal den Marlon anrufen sollen, bevor ich hier in blinden Aktionismus verfalle.
Ohne sich etwas dabei zu denken und nur um sicher zu gehen, ging Herr Schweitzer noch zu einer ausgehängten, an die Seitenwand gelehnte Holztür mit der Aufschrift Büro. Und siehe da: Eine Tür befand sich hinter der Tür. Ebenfalls aus Holz, diese. Das 00 war noch gut zu entziffern. Natürlich, dachte Herr Schweitzer und schlug sich gegen die Stirn. Irgendwo müssen die Arbeiter ja ihr Geschäft verrichtet haben. Er war jetzt ganz hibbelig. Mit beiden Händen umklammerte er die einstige Bürotür, die ihn noch von der Toilette trennte, wo er das Diebesgut vermutete. Klo und Büro – keine so weit entfernten Verwandten. In beiden wurde und wird viel Scheiße produziert.
Das dachte Herr Schweitzer und wollte gerade anheben, als er ein Geräusch hörte. Es kam von draußen und hörte sich verdammt nach Automotor an. Obwohl er von Autos mal so was von null Ahnung hatte, erkannte er den Benz-Diesel. Der Motor erstarb, seine Nackenhaare sträubten sich. Er dachte nicht: Das hat mir gerade noch gefehlt. Herr Schweitzer dachte: Wenn die mich hier erwischen, bin ich vielleicht tot.
Und genau das galt es, mit allen Mitteln zu verhindern. Denn wenn ich tot wäre, hätte dies natürlich Konsequenzen. Keine Maria mehr, keine putzige Pepsi, keinen Ebbelwoi, keine Grüne Soße, keinen Ruhm, weder als Held der Kunst noch als Hängemattenbeistelltischkonstrukteur, kein kuscheliges Bett und erst recht keinen Joint mit in Haschöl gebadetem Dope.
Noch nie hat man einen Menschen so schnell humpeln sehen. Fürwahr, ein groteskes Bild. Und dabei auch noch leise. Katzengleich – ein verwöhnter Sofa-Kater mit Hang zur Schokolade? – zwängte er sich zwischen Anhänger und Wand und legte sich flach auf den Boden. Kaskaden von Schweiß quollen aus seiner Kopfhaut. Herr Schweitzer hielt den Atem an.
All das war zeitlich nur möglich, weil sich das große Rolltor nach den vielen Jahren der Arbeitslosigkeit nur noch ganz schwer öffnen ließ. Bis zu seinem Versteck konnte er das Stöhnen der Männer hören. Durch die Metallregale hindurch konnte er ihre Füße sehen.
Rückwärts stieß das Heck des Mercedes in die Halle. Auspuffgase zerstoben im Inneren. Der Kofferraum wurde geöffnet. Das Tor wieder geschlossen.
Nun, da auch der Lärm der nahen Autobahn außen vor war, konnte Herr Schweitzer ihre Stimmen hören. Allerdings war der Inhalt des Gesagten nicht dazu angetan, eine Lokalrunde zu schmeißen, geschweige denn himmelhoch jauchzend aufs Siegerpodest zu klettern.
„Du, guck mal, da hinten. Das Fenster steht auf. Das war das letzte Mal noch nicht so, wenn ich mich nicht täusche. Geh doch mal kontrollieren.“
Spätestens jetzt hörte der Spaß auf. Noch mehr Schweiß generierte sich. Herr Schweitzer winkelte die Beine an und krümmte sich. Als würde es von irgendeinem Nutzen sein, strich er sich die Haare ins Gesicht, als wäre er damit unsichtbar. Dann betete er zu allem, was ihm heilig war. Maria, Pepsi, Ebbelwoi-Gott … ach, das hatten wir ja schon.
Die Schritte näherten sich. Sein Herz zog sich zusammen. Durch die Haarsträhnen konnte er
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