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Kurbjuweit, Dirk

Kurbjuweit, Dirk

Titel: Kurbjuweit, Dirk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriegsbraut
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dass ein Wal explodieren könne, herrschte meine Mutter
meinen Vater an. Ich habe mich furchtbar erschrocken, so hatte ich sie nie mit
Vater reden hören. Nein, er wisse nicht, dass ein Wal explodieren könne, sagte
mein Vater kleinlaut. Meine Mutter sprach von Fäulnisgasen, sie müsse erst
einmal feststellen, wie lange der Wal hier schon liege. Wir sollten Abstand
halten. Es war kalt, es war Winter. Ich sah, wie meine Mutter das schwarz und
blau schimmernde Tier mit einem Riesenstethoskop abhörte. Zwei Männern, die
Gummigamaschen trugen, gab sie Anweisungen, und dann machten sie genau das,
was meine Mutter ihnen aufgetragen hatte. Das alles war schwer zu verstehen
für mich. Ich kannte meine Mutter nur so, dass sie morgens das Frühstück machte
und abends Essen kochte und sich um den Haushalt kümmerte, während ihr Mann
las. Und wenn die Freunde meines Vaters kamen, brachte sie ihnen Bier und
Schnittchen, aber sie setzte sich nicht zu ihnen an den Wohnzimmertisch in die
Polstermöbel, sondern an den kleinen Esstisch und blätterte in einem ihrer
Meeresjournale und hatte zugleich ein Auge darauf, ob die Gäste etwas
brauchten. So war das bei uns in der DDR, die Frauen haben gearbeitet, aber sie
haben auch zu Hause alles gemacht.»
    Esther sah
den Schuldirektor wieder an, weil sie wissen wollte, ob ihm dieses Thema
unangenehm war. Sein Gesicht war ernst, ein bisschen müde, fand sie. Aristokratisch
auch, es gab einen aristokratischen Zug in diesem Gesicht. Sie redete weiter.
    «Der Wal
war tot, aber explodieren konnte er offenbar nicht. Nach einer Weile winkte
meine Mutter uns heran und erklärte uns die Körperteile. Ich bekam wenig mit,
weil der Geruch unerträglich war. Als wir gingen, waren wir traurig, denn wir
hatten gehofft, den Wal zurück ins Meer ziehen und retten zu können. Nun
wussten wir, dass man ihn auseinanderschneiden würde. Sein Skelett sahen wir
später im Meeresmuseum. Ich fragte mich, ob mein Vater jetzt böse mit meiner
Mutter war und sich das Leben verändern würde, aber am Abend war alles wie
immer. Meine Mutter machte das Abendbrot, mein Vater las behaglich. Ich war
erleichtert, wie Sie sich vorstellen können.»
    Sie wusste
nicht, ob er sich das vorstellen konnte. Es war ihr so rausgerutscht.
    «Als ich
älter war und mir klar wurde, warum die Rollen so verteilt waren zwischen
meinen Eltern, habe ich manchmal zu meiner Mutter gesagt: Es ist wieder
Walzeit. Sie wusste sofort, was gemeint war. Sie sollte sich wehren gegen
meinen Vater, sie sollte bestimmt auftreten. Es wurde ein geflügeltes Wort
zwischen uns.»
    Ein
Mädchen kam herein. Sie stellte sich vor den Schreibtisch, stramm, Rücken
gerade, und berichtete etwas. Esther sah nur ihren Rücken, aber die Stimme
klang, als habe sie Angst. Als das Mädchen fertig war, sagte der Schuldirektor
ein paar Worte, das Mädchen ließ die Schultern fallen, dann ging sie hinaus.
    «Was
wollte sie?»
    «Ihr
Lehrer hat entdeckt, dass sie abgeschrieben hat.»
    «Was haben
Sie ihr gesagt?»
    «Sie muss
nachsitzen.»
    Mehr sagte
der Schuldirektor nicht, aber es war ein Dialog, immerhin. Sie wischte Staub
von ihrem Gewehr. Es war still, ihr Unterhemd war nass.
    «Wussten
Sie, dass ein toter Wal explodieren kann?», fragte sie.
    Er nickte.
Sie glaubte es ihm nicht.
    «Ich bin erst
am Abend im Bett erschrocken. Ich stellte mir vor, wie das ausgesehen hätte,
wäre der Wal explodiert. Herumfliegende Flossen, Knochenstücke, Tod durch ein
Wal teil.» Sie lachte leise. «Das ist den Taliban noch nicht eingefallen»,
sagte sie, «uns einen toten Wal an den Straßenrand zu legen, Wal-Sprengfalle.»
Sie sah ihn an, lächelnd, dann erschrocken, weil ihr eingefallen war, dies
könne eine unpassende Bemerkung gewesen sein.
    Er
blätterte eine Seite um.
    Sie sah
auf die Uhr, Zeit zu gehen. «Auf Wiedersehen, bis Donnerstag», sagte sie an der
Tür.
    Der
Schuldirektor blickte kurz auf, ein schwaches Nicken.
     
    Auf der
Rückfahrt fühlte sich Esther unwohl. Sie starrte auf die Straße, auf den
Straßenrand, als könne sie mit ihrem Blick die Erde aufpflügen und das IED,
das Improvised Explosive Device, das dort irgendwo vergraben sein konnte,
rechtzeitig entdecken. Die Angst schnürte ihr den Hals zu. Sie hoffte, Tauber
würde sie nichts fragen, die Worte wären ihr nur in unfertigen, abgewürgten Brocken
aus dem Mund gekommen. Ihre Hände waren nass.
    Nach einer
halben Stunde lief den beiden Geländewagen eine Ziegenherde entgegen, hundert
Ziegen, und die

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