Kurbjuweit, Dirk
Lage
war ruhig, und am dritten Tag nach ihrer Ankunft durfte sie zur Schule fahren.
Sie fragte, ob sie Ina mitnehmen könne. Die hatte nicht mehr viel zu tun,
seitdem ein Teil ihrer Einheit wieder in Deutschland war. Es war in Ordnung.
Sie fuhren
jetzt mit einem Wolf und einem Dingo. Esther und Ina saßen in dem Wolf, Ina
fuhr. Im Dingo saßen drei Gebirgsjäger. Esther freute sich, dass sie wieder
von dieser Landschaft aufgesaugt wurde. Lange sah sie einem Reiter nach, der
sein Pferd einen Hügel hinauftrieb, wilder Galopp. Zigeunerinnen gingen die
Straße entlang, ihre Kleider waren bunt, sie trugen keine Kopftücher. Esther
erzählte Ina die ganze Geschichte mit Mehsud. «Huh», sagte Ina.
Als sie
sich dem Fluss näherten, wurde Esther nervös. Sie hatte oft daran gedacht, wie
es sein würde, und jetzt ärgerte sie sich, dass sie nicht so ruhig war, wie sie
wollte. Man hatte ihr gesagt, dass sie die Fahrten nicht mehr machen müsse,
aber natürlich ließ sie sich davon nicht abbringen. Was sie dann sah, war eine
große Baustelle. Pioniere hatten eine Pontonbrücke über den Fluss gelegt. Die
Ruine war weggesprengt worden, und es entstand eine neue Brücke, die
Betonpfeiler waren schon gegossen. Esther sah Betonmischer, Lastwagen,
Dixie-Klos, ein kleines Containerdorf, afghanische Arbeiter, deutsche Pioniere.
Wo das Gehöft gewesen war, wurde ein neues Haus gebaut. Teile der Mauer standen
schon. Sie fragte sich, wer dort einziehen würde. Sie fuhren über die
Pontonbrücke, die Pioniere grüßten, die Schlucht, dann noch eine Stunde.
Sie war
noch nervöser, als sie sich der Schule näherten. Er stand nicht am Fenster,
aber er wusste ja auch nicht, dass sie kommen würde. An den Wänden des Flures
hingen jetzt Kinderzeichnungen, sie hatten Schlangen, Skorpione, Füchse,
Löwen, Elefanten gemalt. Esther nahm das als gutes Zeichen. In ihren
schlimmsten Tagträumen hatte sie eine niedergebrannte Schule gesehen. Und der
Schuldirektor baumelte an dem Baum, in den vor dreißig Jahren der Blitz
eingeschlagen hatte. Sie ging schneller und dann ganz langsam, als sie kurz
vor Mehsuds Zimmer war. Esther klopfte und öffnete die Tür. Er saß hinter
seinem Schreibtisch und blieb dort sitzen. Es war nicht schlimm, sie hatte
damit gerechnet. Sie musste von vorne anfangen, das war ihr klar gewesen, eine
Woche würde er brauchen, mindestens, so war das eben. Sie saß wieder auf dem
Boden, das Gewehr auf ihren Oberschenkeln, und erzählte ihm, was sie in Berlin
erlebt hatte.
«Wird er
den Film wirklich drehen?», fragte Mehsud.
«Ich
glaube nicht.»
«Deine
Freunde glauben, dass die Amerikaner in Afghanistan so enden wie Varus und die
Römer in Germanien?»
«Ich
glaube, dass sie das glauben.»
«Die
deutschen Soldaten enden also auch wie Varus und die Römer?»
«So
glauben sie, und so ist es in dem Film gedacht.»
«Er hat
einen Film entwickelt, in dem du sterben musst? Er ist dein Freund, dachte
ich.»
«Er hat
dabei nicht an mich gedacht.» Das Gewehr schaukelte auf ihren Oberschenkeln.
Kam es zur Ruhe, stupste sie es am Schaft neu an.
«Wenn mich
meine Erinnerung nicht täuscht, verehren die Deutschen Arminius.»
«Er ist
ein Held bei uns, auch wenn wir das Wort nicht so gerne benutzen.»
«Wegen
Hitler?»
«Wegen
Hitler.»
«Wenn ich
das richtig begreife, wäre Mullah Omar in dem Film Arminius», sagte Mehsud.
«Mullah Omar oder ein anderer Taliban.»
«Verehren
die Deutschen Mullah Omar?»
«Nein.»
«Aber sie
wollen, dass er den Krieg gewinnt?»
«Das
wollen sie nicht.»
«Warum
macht dein Freund dann einen solchen Film?»
«Er findet
es falsch, dass die Amerikaner Afghanistan überfallen haben, und er will zeigen,
dass sich überlegen fühlen nicht heißt, dass man überlegen ist.»
«Wenn er
das so sieht, dann freut er sich doch, wenn er schlechte Nachrichten von den
Deutschen oder den Amerikanern in Afghanistan hört.»
«Warum?»
«Weil das
seine Skepsis bestätigt.»
«Mag
sein.»
«Er hätte
sich gefreut, wenn du in dem ersten Auto gesessen hättest?»
«Du hast
es gehört?»
«Man hat
es hier erzählt.»
«Er hätte
sich nicht gefreut.» Mehsud ist eifersüchtig, dachte Esther und war beruhigt.
«Was hast du gedacht?», fragte sie.
«Man hat
erzählt, dass die deutsche Frau als Einzige zurückgeschossen hat.»
«Das war
ich.»
«Das warst
du, ich habe es mir gedacht.»
«Und dich
gefreut, dass ich überlebt habe?»
«Jetzt
bauen die Deutschen eine Brücke.»
«Mehsud?»
Sie sah ihn
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