Kurier
Blick standzuhalten. Es war
verblüffend, wie Sundern ihn plötzlich mit seinem linken Auge anschielte. »Das
ist doch verrückt.« Er suchte in seiner Tasche nach der Zigarettenschachtel, um
nicht hinsehen zu müssen.
»Nein, nein, nein«, sagte Sundern abwehrend, »das ist
nicht im Geringsten verrückt.« Er schielte wieder. »Überlegen Sie doch mal: Ich
bin hier der König der Nacht und habe jede Menge Geld. Ich bin mächtig, kenne
einen Haufen Politiker und weiß auch genau um deren Schwächen. Im
Immobiliengeschäft bin ich hier jemand, an dem niemand vorbeikommt. Ich habe
Gegner, Grau, ich habe verdammt viele Gegner. Und die meisten sind Arschlöcher,
nichts als von Neid zerfressene Arschlöcher …«
»Viele?«, hakte Grau sachlich nach.
Das Schielen hatte aufgehört. »Mindestens sechs bis acht.
Es gibt ein paar subalterne Bullen, die mich hassen wie die Pest, weil ich
alles weiß und sie gar nichts. Es gibt beim Finanzamt Leute, die eigens wegen
Sundern Sozialisten geworden sind und auf eine gerechte Verteilung des Kapitals
hinarbeiten. Die jagen mich wie einen Hasen, sie suchen nach Lücken, hoffen, dass
ich einen Fehler mache.
Dann kommt dieses Oberarschloch Steeben in die Stadt und
hat angeblich zehn Millionen Dollar und fünfzig Pfund Kokain dabei. Das muss
man sich mal vorstellen: Handgepäck im Wert von fünfzig Millionen Mark. Dieser
Arsch Steeben zieht Meike mit in die Scheiße. Und sie ist naiv und süchtig
genug, ihm zu glauben. Nicht einmal ich konnte sie davon überzeugen, dass
dieser Steeben garantiert eine taube Nuss ist.
Und siehe da: Als in Berlin alles versammelt ist, was in
der Szene Rang und Namen hat, kommt ein Journalist namens Grau des Weges und
will ausgerechnet mit mir ein Interview. Dann stopft sein Angestellter meinem
Angestellten das Maul voll Lokuspapier – herzlichen Glückwunsch übrigens –,
dann wird Meike geklaut, und dieser Grau holt sie raus. Meike wird wieder
geklaut, dieser Grau holt sie wieder raus.
Ganz nebenbei geht das Oberekel Nase samt Genossen in die
Hölle, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihm tränenüberströmt zu danken
und ihn einzuladen, in meiner Brieftasche oder wo auch immer für ewig Platz zu
nehmen. Haben Sie je John le Carré gelesen?«
»Na sicher, und mit tierisch viel Vergnügen«, antwortete
Grau verblüfft.
»Carré war selbst Geheimdienstmann, er weiß genau, wie
die grauen Zellen dieser wahnwitzigen Zeitgenossen arbeiten. Durch Carrés
Brille betrachtet, sind Sie zielgerichtet nach Berlin lanciert worden, um mich
wie ein Spanferkel Ihren Auftraggebern zu servieren. Leuchtet Ihnen das ein?«
»Ja. Und ich kann nicht garantieren, dass White und Thelen
im Grunde genommen nicht genau das gewollt haben.«
Sundern schüttelte leicht den Kopf. »Die Sache hat sich
erledigt, mein Freund. Niemand konnte das mit der Amsterdam-Gruppe voraussehen.
Wie gut kennen Sie eigentlich diesen White?«
»Nicht sehr gut. Damals, als meine Tochter an Drogen
zugrunde ging, tauchte er plötzlich auf. Er sagte, er mag mich, weil ich den
Dealer meiner Tochter erledigt habe.«
Sundern nickte. »Wissen Sie, ich denke, es ist auch eine
Karrierefrage für den lieben White. Natürlich gibt er das nicht zu, o nein, das
gibt er nie und nimmer zu. Aus meiner Sicht stellt sich die Sache so dar: Der
Jungdiplomat Ulrich Steeben, ein unbeschreibliches Arschloch, tut sich
auffallend häufig in Berlin um. Angeblich sucht er nach legalen Verdienstmöglichkeiten.
Er ist der Schützling eines sehr mächtigen, einflussreichen Mannes in Italien.
Dieser Mann hat Steeben losgeschickt, damit er ein Geschäft eröffnet.
Ich kenne den alten Herrn gut, Meike kennt ihn übrigens
auch. Ganz folgerichtig macht sich Steeben an Meike ran. An die lebenslustige
und auf Abenteuer versessene Meike. Er sagt ihr, er wolle in Berlin groß
absahnen, gezielt in Immobilien machen. Damit er einen glatten Start hat, wird
sein Beschützer ihn mit vielen Millionen Dollar ausrüsten und mit Kokain. Schon
das ist dermaßen verlogen, dass ich Meike sofort gewarnt habe.«
»Wieso ist das verlogen?«, fragte Grau.
»Ganz einfach: Wenn ich einen so mächtigen Beschützer
habe, dann reichen zehn Millionen Dollar vollkommen aus. Dann brauche ich
dieses Geld nicht in bar und dann brauche ich erst recht kein Kokain. Das
Bargeld und das Kokain ergeben zusammen eine ungeheuer explosive Mischung, Mord
inbegriffen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Einfache Folgerung: Da
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