Kurpfalzblues
»Sie haben es voll
erfasst: Ich bin einer von den Losern. Sie sollten sich mal mit meinem Vater
unterhalten. Sie beide würden sich bestimmt gut verstehen. Du kannst nichts, du
bist nichts, aus dir wird nie etwas. Das bringt mich echt nach vorne, wissen
Sie. Da blühe ich so richtig auf.«
Lindnar streckte die Beine vor, so als mache er es sich auf einem
Liegestuhl bequem.
»Aber jetzt weiß ich ja zum Glück, was ich kann. Dank Ihnen. Sie
haben mich darauf gebracht. Ich bin ein Dichter. Das erklärt alles. Kreative
Menschen sind oft schräg drauf.«
»Kennen Sie eigentlich den eleusischen Bund, Herr Lindnar?«
»Ich glaube, das ist so eine Volkstanzgruppe. Oder?«, fragte Lindnar
mit naivem Unterton.
Maria hätte ihn am liebsten geschüttelt.
»Kapieren Sie eigentlich, um was es hier geht?«
»Aber klar doch.« Lindnar nickte, ein eifriger Schuljunge, der sich
anschickte, die Frage seiner Lehrerin zu beantworten. »Sie denken, ich hätte
Lea umgebracht und dann auch noch ein Kind entführt, nur weil ich an meine
Zimmerwand ein Gedicht geschrieben habe, das sich anhört, als wäre es von
Eichendorff. Und das, obwohl Sie diejenige waren, die mich mit Ihrer Fragerei
erst auf die Idee gebracht hat.«
Lindnar hatte recht. Genauso konnte man es drehen. Jeder Verteidiger
würde sich mit Freude darauf stürzen.
»Nach unserem Gespräch in der Mensa habe ich mir das Gedicht von
Eichendorff aus dem Internet geholt. Ich habe es umgeschrieben. Kein
Verbrechen, soviel ich weiß.«
»Und warum heißt es in Ihrer Version, das Böse hätte Ihnen ›die
Liebste‹ entführt? Angeblich waren Sie doch froh, dass die Sache mit Lea vorbei
war?«
»Trotzdem habe ich sie einmal gemocht. Damals war sie meine Liebste.
Obwohl das vielleicht wirklich ein bisschen dick aufgetragen ist. Ich werde es
noch einmal überarbeiten.«
»Wenn Sie mit alldem nichts zu tun haben, wo waren Sie dann am
Montagabend?«
Lindnar wiegte den Kopf nachdenklich hin und her.
»Also, wenn man mich unter Druck setzt, fallen mir solche Sachen
einfach nicht mehr ein.« Und fast nahtlos fügte er hinzu: »Was muss dieses
kleine Mädchen nur für eine Angst haben, so allein, ohne seine Mutter.«
Da war er wieder, dieser undefinierbare Ausdruck auf Lindnars
Gesicht.
Es klopfte, Alsberger schaute herein.
»Können Sie mal kurz kommen?«
Maria ging zu ihm auf den Flur. Hatte er am Vormittag noch gestrahlt
wie der Lottokönig, sah er jetzt so finster drein, als stünde der Weltuntergang
bevor.
»Die Kollegen haben in Lindnars Wohnung keine Hinweise auf Sarah
Szeidel oder ihre Tochter gefunden«, sagte er leise. »Aber sein Tagebuch. Es
stehen einige Sachen über Lea Rinkner drin. Erst irgendwelche Schwärmereien,
dann eine Seite, auf der er sie aufs Übelste beschimpft. Aber nichts darüber,
dass er ihr etwas antun will. Dann gibt es noch ein Heft, in das er ein paar
wirre Sachen gekritzelt hat. Irgendetwas über die Mayas und den Weltuntergang.
Lea Rinkners Telefonnummer steht in seinem Notizbuch im Adressverzeichnis. Er
hat sie durchgestrichen.«
»Durchgestrichen? Wie, durchgestrichen?«
»Der Kollege hat nur gesagt, die Nummer und der Name wären
durchgestrichen, mehr nicht.«
Als sie zurück ins Büro kam, sah Karel Lindnar sie fragend an.
»Und, ist die Kleine wieder aufgetaucht?«
»Warum haben Sie Leas Nummer aus Ihrem Notizbuch gestrichen?«
»Oh, Sie machen das aber gründlich.«
Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte man ehrliche
Bewunderung hören können. So klang es wie der reine Hohn.
»Warum haben Sie das getan?«
»Warum macht man so etwas?« Karel Lindnar zuckte mit den Schultern.
»Wir hatten uns getrennt, ich hatte nicht mehr vor, sie noch einmal anzurufen.
Frauen tun das doch angeblich auch. Die Zahnbürste des Lovers wegschmeißen oder
die Fotos vom Urlaub, sein T-Shirt in kleine Stücke schneiden.«
»Hat Lea Sie so verletzt, dass Sie nicht einmal mehr ihren Namen
ertragen konnten? Vielleicht haben Sie ihn ja nicht einfach durchgestrichen.
Vielleicht ging es eher darum, jemanden auszulöschen.«
Lindnar lachte auf.
»Klar. Erst bringe ich sie um, dann renne ich nach Hause, streiche
ihren Namen aus meinem Organizer und warte, bis die Polizei kommt und das sieht.
Ist doch logisch. Würde doch jeder so machen, oder nicht?«
Spott und Hohn, das war wohl alles, was sie aus Lindnar
herausbekommen würden. Er hatte nicht vor, ihnen irgendetwas zu verraten.
Er spielte mit seinem möglichen Alibi für die Zeit des
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