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Kurpfalzblues

Titel: Kurpfalzblues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Bach
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das am
Kopfende zum Weg hin einen Maschendrahtzaun hatte, in den ein Gartentor
eingelassen war. Zwischen den Grundstücken nach rechts und links gab es nur
dichtes Buschwerk zur Begrenzung.
    »Hinten ist eine Lücke zwischen den Sträuchern. Julie ist schon
öfters durch den Garten nach Hause gekommen, dann muss sie nicht vorne über die
Straße. Die Terrassentür ist so gut wie immer offen, sie hätte nur
dagegendrücken müssen.«
    »Und das Tor hinten zum Weg, ist das auch offen?«
    »Ja, ja. Es ist offen.«
    Ulrike Szeidel schluchzte auf und hob die Hände vor das Gesicht.
Maria konnte sie kaum noch verstehen.
    »Es hieß doch, es geht um Sarah. Ich wusste doch nicht, dass er es
auf das Kind abgesehen hat. Das hat mir niemand gesagt. Niemand! Warum haben
Sie das nicht gesagt? Ich hätte sie doch nie auch nur einen Moment aus den
Augen gelassen!«
    »Weiß Ihre Tochter schon Bescheid?«
    Das Schluchzen wurde lauter. »Nein. Das kann ich ihr nicht sagen.
Das schaffe ich nicht.«
    Autotüren wurden zugeschlagen, Stimmen waren zu hören.
    Maria wusste, wer das war.
    Auf der Straße vor dem Haus versammelte sich gerade das
wahrscheinlich größte Polizeiaufgebot, das man in Handschuhsheim jemals zu
sehen bekommen hatte. Aber mit Sicherheit war es immer noch nicht groß genug.
    Nur ein paar Meter hinter dem Haus begann das Handschuhsheimer Feld,
eine weite fruchtbare Ebene, hunderte von Feldern, durchzogen von einem Netz
schmaler asphaltierter Sträßchen und holpriger Feldwege.
    Ein Naherholungsgebiet, in dem Spaziergänger, Inlineskater,
Radfahrer und das seltene Gartenrotschwänzchen eine friedliche Koexistenz
führten.
    Im Frühling schwängerte der Geruch von Erdbeeren die Luft, und an
heißen Sommertagen leuchteten die Tomaten aus den Gewächshäusern. Blumenfelder
wechselten sich ab mit langen Reihen Lollo rosso und Lollo bianco, die rote und
hellgrüne Streifen auf die Äcker malten.
    Um diese Zeit stand hier der Mais mannshoch. Felder, die man nicht
überblicken konnte. Tabakpflanzen, Sonnenblumen, die selbst einen großen
Menschen um einen guten Kopf überragten.
    Ein idealer Ort, um zu verschwinden. Oder jemanden verschwinden zu
lassen.
    An der Wand über der Couch hingen Fotos. Gleich auf mehreren war ein
kleines Mädchen zu sehen. Große blaue Kulleraugen, blonde Löckchen. Ein rundes,
zartes Gesicht, wie das einer Porzellanpuppe. Julie Szeidel. Ein Kind, das
aussah wie der Engel, der Weihnachten über der Krippe schwebte. Nur der
Goldstaub fehlte.
    Ein hübsches Mädchen, eines, das sich ganz bestimmt viele Menschen
aussuchen würden, wenn man sich Kinder aus dem Katalog bestellen könnte.
    Süß, dachte Maria, und in ihrem Magen krampfte sich alles zusammen. Süße
Maid.
    »Was hatte Julie heute Morgen an?«
    »Eine Jeans und ein …«, Ulrike Szeidel überlegte, »einen hellblauen
Pulli und eine rote Strickjacke.«
    »Wir brauchen eines der Fotos von ihr. Das neueste, das Sie haben.
Und Kleidungsstücke. Etwas, das sie erst vor Kurzem getragen hat.«
    Marias Blick fiel auf das Bild, das Julie gemalt hatte. Sie ging zum
Tisch und rollte es zusammen.
    »Und das hier, das brauche ich auch.«
    *
    Julies Zeichnung lag auf Marias Schreibtisch.
    Karel Lindnar schien das Bild eingehend zu betrachten, den Kopf
gesenkt, sodass die glatten halblangen Haare wie ein Vorhang an seinem Gesicht
herunterhingen.
    »Ein unschuldiges, harmloses Kinderbild. Ich denke, das da unten
heißt ›Mama‹.« Maria schob das Bild etwas näher zu ihm.
    »Könnte gut sein.« Lindnar nickte zustimmend. »Sieht zumindest so
ähnlich aus.«
    »Können Sie sich vorstellen, wie das für Julies Mutter ist? Was sie
im Moment durchmacht?«
    Lindnar zuckte mit den Schultern. »Bestimmt nicht schön.«
    Maria wusste, wie es für Sarah Szeidel war. Sie hatte mit ihr
geredet und hätte dieses Gespräch lieber aus ihrem Gedächtnis ausgelöscht.
    Auf dem Rückweg von Handschuhsheim war sie in der Klinik
vorbeigefahren, in der Hoffnung, dass Julie zu ihrer Mutter gelaufen war. Aber
im Neuenheimer Feld, in dem die Klinik nur ein Gebäude von vielen war, fanden
sich schon die meisten Erwachsenen nur mit Müh und Not zurecht. Natürlich war
Julie nicht dort gewesen.
    Sarah Szeidel hatte Maria erst ungläubig angesehen, als sie ihr von
Julies Verschwinden berichtete. Dann hatte sie geweint, dann geschrien, und je
mehr Maria sie zu beruhigen versuchte, desto verzweifelter war sie geworden.
    Maria hatte nicht mehr gewusst, was sie noch hätte sagen

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