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Kurpfalzblues

Titel: Kurpfalzblues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Bach
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Gedicht,
das er offenbar an die Wand geschrieben habe. Aber ansonsten ein völlig
harmloser Junge.
    Man habe sich gefreut, dass Karel hier in Heidelberg etwas Boden
unter den Füßen gewonnen habe. Eine Haft stelle, da er unschuldig sei, nur eine
unnötige Gefährdung des labilen Jungen dar, die niemand verantworten könne.
    Denn wenn sich herausstelle, wovon auszugehen sei, dass der Junge
mit der Sache nichts zu tun habe, und er Schaden durch diese Angelegenheit
nehme, würde man sich gezwungen sehen, rechtliche Schritte einzuleiten, um die
Angemessenheit des polizeilichen Vorgehens prüfen zu lassen.
    Ferver versuchte, sich einzuschalten, aber es war kaum möglich, den
Monolog des Anwalts zu unterbrechen.
    Das einzig Richtige wäre in Anbetracht der Umstände, Herrn Lindnar
junior sofort aus der Haft zu entlassen und über die ganze Angelegenheit
Stillschweigen zu bewahren.
    Maria spürte das starke Bedürfnis, über den Tisch zu langen und
Herrn Lindnars Krawatte ein bisschen schief zu ziehen.
    »Ich würde mich gern einen Moment mit meinem Vorgesetzten beraten«,
sagte sie stattdessen mit dem unterwürfigen Lächeln auf dem Gesicht, das wohl
erwartet wurde.
    Ferver warf ihr einen überraschten Blick zu. Wahrscheinlich hatte er
damit gerechnet, dass sie Maximilian Lindnar samt Anwalt in Grund und Boden
stampfen würde. Das hätte sie normalerweise auch getan, aber diesmal war es
besser, eine Faust in der Tasche zu machen.
    Sollte Maximilian Lindnar ruhig weiterhin denken, er hätte alles
unter Kontrolle. Er lieferte ihr einen guten Anlass, das zu tun, wofür sie sich
schon vorher entschieden hatte: Sie würde Karel Lindnar laufen lassen.
    Maria erklärte Ferver, was sie vorhatte. Er war einverstanden, wenn
die Staatsanwaltschaft zustimmen würde.
    Während sie telefonierte, lief Lindnars Anwalt nervös auf dem Flur
auf und ab, Maximilian Lindnar aber stand da wie die deutsche Eiche in Person.
    Als Maria wusste, dass alles klappen würde, teilte sie die frohe
Botschaft mit. Nach gründlicher Prüfung sei man aufgrund der Informationen, die
sie nun hätten, zu dem Schluss gekommen, dass es besser sei, Karel zu
entlassen.
    Seiner labilen Psyche wolle man schließlich keinen Schaden zufügen,
der Verdacht gegen ihn habe sich nicht erhärten lassen, und unnötigen Ärger
wolle auch niemand.
    Es müssten nur noch einige Formalitäten erledigt werden, dann könne
Karel gehen. Warten lohne sich nicht, Herr Lindnar senior habe sicher Besseres
zu tun.
    Es dauerte noch zwei Stunden, bis alles organisiert war. Dann ließ
Maria Karel Lindnar holen.
    »Mein Alter war da, stimmt’s?«, war seine Reaktion auf die
Mitteilung, dass er gehen konnte. »Und, hat er sich ordentlich aufgeregt?«
    »Nein, er wirkte ganz gelassen.«
    »Wie üblich. Mr. Obercool.«
    »Er konnte uns davon überzeugen, dass Sie …«, Maria bemühte sich um
ein Lächeln, »nun, sagen wir es einmal so: dass Sie ein zahnloser Tiger sind.«
    Karel Lindnar verzog verächtlich die Mundwinkel.
    »Oh ja«, sagte er. »Zahnloser Tiger. Klar.«
    »Geht es darum, Herr Lindnar? Ist das alles eine Show, um den coolen
Papa mal so richtig aus der Fassung zu bringen?«
    Der junge Mann presste einen Moment die Lippen zusammen, sodass sie
fast weiß wurden.
    »Sie haben noch etwas gut bei mir«, sagte er dann. »Sonst wäre ich
jetzt wohl sehr böse auf Sie. Aber ich muss Ihnen dankbar sein. Durch Sie habe
ich mein wirkliches Talent entdeckt. Irgendwann einmal werden Sie stolz darauf
sein, mich gekannt zu haben.«
    »Sicher, der neue Dichterfürst, ich weiß. Sie können jetzt gehen,
Herr Lindnar. Bitte.«
    Maria machte eine Handbewegung zur Tür hin.
    Karel Lindnar stand langsam auf. Er war schon fast draußen, als er
sich noch einmal umdrehte.
    »Wissen Sie, was zahnlose Tiger am liebsten fressen?« Der spöttische
Ausdruck war auf sein Gesicht zurückgekehrt. »Kleine Mädchen. Die sind noch so
schön zart.«
    Damit zog er die Tür von außen zu.

Das Orakel
    Die Hände tief in den Taschen seines Anoraks vergraben, verließ
Karel Lindnar die Polizeidirektion. Maria konnte ihn vom Fenster aus sehen. Er
hatte sich noch keine zwei Meter vom Gebäude entfernt, als sein Vater auf ihn
zukam.
    Maximilian Lindnar hatte anscheinend im Wagen auf ihn gewartet.
    Es gab keine Begrüßung, keine Umarmung, nichts. Er redete auf seinen
Sohn ein, der schaute zu Boden, die Schultern hochgezogen. Maria konnte nicht
erkennen, dass Karel Lindnar auch nur einmal den Mund aufgemacht

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