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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian
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Ausgehuniform — den blauen Rock mit weißen Aufschlägen, dazu die weiße Weste, Kniehose und Strümpfe — eines Leutnants der Royal Navy; die silberne Medaille für die Teilnahme an der Schlacht von Abukir schmückte seine breite Brust. Sein Unterarm in der hohen weißen Manschette mit Goldknöpfen schlug den Takt, während sich die leuchtendblauen Augen in einem Gesicht, dessen Teint ohne die tiefe Sonnenbräune gewiß die typisch englische hellrosa Farbe gehabt hätte, am Bogen der ersten Geige förmlich festsaugten. Die hohe Note kam, dann die Pause und schließlich die Auflösung. Und mit der Auflösung krachte die Faust des Seemanns wie befreit auf sein rechtes Knie nieder. Mit einem glücklichen Seufzer warf er sich zurück, wobei die Rückenlehne des Stühlchens endgültig unter Marineblau verschwand, und wandte sich mit breitem Lächeln seinem Nachbarn zu. Die Worte »Sehr schön gespielt, Sir, meinen Sie nicht auch?« formten sich schon in seiner Kehle, kamen ihm aber nicht über die Lippen, als er den kalten, ja feindseligen Blick des Mannes gewahrte und ihn flüstern hörte: »Falls Sie wirklich unbedingt den Takt klopfen müssen, Sir, dann flehe ich Sie an, dies doch wenigstens richtig zu tun und nicht immer einen halben Schlag zu früh.«
    Jack Aubreys Miene verlor sofort die freundliche, aufgeschlossene Gesprächsbereitschaft des Genießers und drückte verblüffte Feindseligkeit aus. Er gestand sich ein, daß er tatsächlich den Takt geschlagen hatte. Und obwohl das ganz gewiß mit perfekter Akkuratesse geschehen war, stellte sein Benehmen an sich schon einen Fauxpas dar. Röte stieg ihm in die Wangen. Er starrte seinem Nachbarn in die blassen, hellen Augen, holte tief Luft und begann: »Ich denke doch ...« Da brachten ihn die ersten Töne des langsamen Satzes zum Schweigen.
    Das grüblerische Cello gab zwei Solophrasen von sich und begann dann seinen Dialog mit der Bratsche. Doch diesmal folgte nur ein Teil von Jack Aubreys Aufmerksamkeit den Melodien, der Rest beschäftigte sich mit dem Mann neben ihm. Ein heimlicher Seitenblick zeigte ihm einen dunklen, bleichen Mickerling in speckigem schwarzem Gehrock — einen Zivilisten. Sein Alter ließ sich kaum schätzen, denn er hatte nicht nur die Art von Gesicht, die nichts verriet, sondern trug auch eine Perücke, ein struppiges Ding, anscheinend aus Draht gefertigt und ohne jedes Puderstäubchen. Er mochte zwanzig, aber genausogut auch sechzig Jahre alt sein. Trotzdem sind wir wahrscheinlich gleichaltrig, dachte Jack. So ein mieser Bastard — sich derart aufzuspielen. Nach dieser Feststellung widmete er sich wieder ganz der Musik, fand den richtigen Anschluß und folgte nun den Harmonien durch alle Variationen und reizvollen Arabesken bis zu ihrem befriedigenden, logischen Schluß. An seinen Nachbar dachte er erst wieder am Ende des Satzes, und dann vermied er es peinlich, in seine Richtung zu schauen.
    Das Menuett mit seinem beharrlichen Rhythmus verführte Jacks Kopf zum Mitwackeln, auch wenn er sich dessen nicht bewußt war. Doch als er spürte, daß sich seine Rechte auf dem behosten Knie wieder selbständig machen wollte und mit Luftsprüngen drohte, klemmte er sie in der Kniekehle fest. Das Menuett war einfallsreich und leicht eingängig, mehr nicht. Aber ihm folgte ein seltsam komplizierter, fast harscher letzter Satz mit einem Motiv, das anscheinend kurz davorstand, etwas von allergrößter Wichtigkeit auszusagen. Die Klangfülle verebbte zum einsamen Flüstern einer Geige, das von den nie ganz verstummten Hintergrundgeräuschen im Raum verschluckt zu werden drohte; ein eruptives Gähnen wurde zu spät erstickt, und Jack blickte sich ärgerlich nach dem Übeltäter um, natürlich einem Infanteristen. Aber dann schloß sich der Rest des Quartetts der Geige an, und alle zusammen arbeiteten sich zu dem Punkt vor, an dem die Aussage formuliert werden sollte. Jack mußte sich sofort wieder in die Melodie einklinken, und als das Cello sein vorhersehbares und absolut notwendiges Pom, pom-pom-pom, puum anstimmte, drückte er das Kinn auf die Brust und brummte in schöner Übereinstimmung mit dem Cello: »Pom, pom-pom-pom, puum.«. Da bohrte sich ein Ellbogen in seine Rippen, und ein wütendes »Pssst!« zischte ihm ins Ohr. Erst jetzt merkte er, daß seine Rechte hoch in der Luft hing und mitdirigierte. Er ließ sie sinken, klappte den Mund zu und starrte auf seine Füße, bis die Musik verstummte. Er hörte die noble Auflösung am Schluß und

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