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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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existierten auch, die aber für sich genommen und auch zusammen mit dem bisher Bekannten nichts aussagten. Das Bild des Toten drehte sich etwas, wurde aber dadurch nur noch unklarer, da das Rachemotiv für einen Selbstmord immer unwahrscheinlicher wurde. Und Wenzel verhehlte sich nicht: Je mehr Leute über Mohrs gute Stimmung aussagten, um so mehr wurde auch seinem Mißtrauen der Boden entzogen.
    Briefe hatte der Tote leider nicht hinterlassen. Wie befürchtet, gehörte er zu den Leuten, die ihre Korrespondenz nicht aufhoben, weil sie sich sagten: Was wichtig ist, behält man sowieso im Kopf oder im Herzen, und was Kopf oder Herz nicht so bewegt hat, daß es sich einprägte, ist auch nicht wichtig. Es gab viele, die so dachten und die höchstens wissenschaftliche Abhandlungen und Kunst oder Handwerk Betreffendes aufbewahrten, dann aber nicht in Originalform, sondern in einer kleinen Kristallothek gespeichert. Tatsächlich hatte Otto Mohr eine solche in Gebrauch gehabt, und Wenzel hatte nach kurzen Stichproben Sibylle Mohr gebeten, sich Überblick und Einsicht in das dort Gespeicherte zu verschaffen. Außerdem hatte er sie gebeten, die letzten künstlerischen Skizzen und Pläne des Toten noch einmal durchzusehen, notfalls mit Hilfe der Kreiskommission der bildenden Künstler. Wenzel war damit auf ein Angebot Sibylle Mohrs eingegangen, die sich sowieso für vierzehn Tage von ihren laufenden wissenschaftlichen Arbeiten beurlaubt hatte und die Zeit dazu nutzen wollte, bei der Aufklärung der Zusammenhänge zu helfen.
    Auch das singende Glas, den Raumteiler, hatten sie sich zu viert noch einmal angesehen, Sibylle, Pauline, die Ratgeberin und er, aber da sang es merkwürdigerweise nicht, und Wenzel war sich eigentlich sicher, daß ihn nicht übergroße Sensibilität genarrt hatte, als er es singen hörte. Es mag wohl vorkommen, wenn man dergleichen erwartet, daß die Anstrengung des Hinhörens das Erwartete hervorbringt; aber Wenzel war seiner Kunst wegen an präzise Beurteilung leiser und leisester Äußerungen gewöhnt. Wenn er sich etwa von jemandem zu einem versteckten Gegenstand führen ließ, dann mußte er die winzigen Änderungen der Atmung, die kaum wahrnehmbaren Ausweichbewegungen genau erfühlen, deren sich der Partner nicht einmal bewußt wurde. Jedenfalls, warum auch immer, reagierte das Glas nicht, weder bei geöffnetem noch bei geschlossenem Fenster, so daß Wenzel hier fürs erste aufgeben mußte, obwohl ihm wieder jenes „Fenster aufreißen“ in den Ohren klang, das schon einmal in ihm irgendeine verschwommene Assoziation wachgerufen hatte.
    Die ganze übrige Zeit hatte er mit Pauline zusammengearbeitet, und dabei hatte er sie immer mehr schätzengelernt. Sie stürzte sich mit einem wahren Feuereifer auf jede scheinbar noch so unwichtige Einzelermittlung – Wenzel kannte das von sich selbst als Anfängereifer. Sie aber tat das ohne die üblichen Anfängerfehler und – Übertreibungen, und das hatte er noch gar nicht erlebt, nicht einmal bei sich selbst – richtiger: schon gar nicht bei sich selbst. Es war mehr als das; da war jemand dabei, sich und seine Aufgabe im Leben zu finden. Wenzel glaubte zu wissen, daß Pauline nach Abschluß dieser Angelegenheit nicht mehr Ordner im Vorwerk von Altenwessow sein würde, doch er hätte noch nicht sagen können, was sie dann statt dessen tun würde; er nahm sich aber vor, das als erster zu erfahren.
    Es war nicht ausgeblieben, daß er auch ihre Eltern kennengelernt hatte, bei denen sie wohnte. Er hatte deren Reserviertheit gespürt, trotz aller selbstverständlichen Freundlichkeit, und er hatte sie auch verstanden. Diese Tochter, immer noch ledig, hatte mit den Gleichaltrigen nichts im Sinn, war mit dem viel älteren Mohr kürzere oder längere Zeit zusammen gewesen, und nun brachte sie wieder einen viel älteren Mann ins Haus. Mochte Dienstliches oder was immer sie zusammengeführt haben, daß die beiden mindestens harmonierten, blieb nicht verborgen, und wenn auch diverse Vorurteile der Geschichte angehörten, fernen Zeiten, in denen die Menschen in der Mitte ihres Lebens alt wurden, so gehörte jedenfalls der Wunsch nach Enkeln und Urenkeln nicht der Vergangenheit an – wenigstens nicht für Paulines Eltern.
    Freilich hatte er auch gespürt, daß er trotz aller gelegentlichen Sympathie fürs Landleben doch im Grunde Städter war und bleiben würde. Fast jeder, der hier lebte, hielt ein Stück Vieh oder auch mehrere; das wollte gefüttert und gewartet und

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