Kurs Minosmond
Steuerungstechniker in Gagarin hatte aufgrund der aufgetretenen Störungen errechnen können, wo in der Steuerung der Defekt lag, er hatte nicht nur angegeben, in welcher Baugruppe, sondern sogar einen Kristall benannt. Ruben wechselte als letztes die Baugruppe, probierte die Steuerung aus – sie reagierte nur kurz mit zwei ganz schwachen Impulsen, die den letzten Rest des Taumelns aufhoben – und kehrte dann zum Zollstock zurück.
Dort erwarteten sie ihn bereits.
„Wir sind als geheilt entlassen“, sagte Esther grinsend. „Wir warten ungeduldig, daß du uns endlich erzählst, was eigentlich passiert ist.“
Ruben war darauf vorbereitet. Er hatte schon vorher die entsprechenden Stellen in den Protokollen ausgewählt. Jetzt berichtete er rückhaltlos alles, was er beobachtet, gedacht und empfunden hatte, und schloß: „Ich glaube, die Stabilität des Bläschens, die wir beobachtet haben, war auch nur scheinbar. Ich glaube, es strebte dahin, wo hochkonzentrierte Energie war, also Atome, wurde aber durch das Magnetfeld festgehalten, suchte einen Weg, sich dieser Fesselung zu entziehen, und fand ihn im Abstoßen der Elektronen – und es muß ein gerichtetes Abstoßen gewesen sein, damit der Rückstoß es in die Anlage brachte. Es landete in der Steuerung, überfraß sich und platzte. Der defekte Kristall hier drin wird uns mehr erzählen!“ Er zeigte die ausgewechselte Baugruppe herum.
„Teleologischer Quark!“ brummte jemand. Esther widersprach. „Sag das nicht – oft verhalten sich die Dinge so, als hätten sie ein Ziel.“
„Aber sie haben keins!“
„Das nehme ich auch nicht an“, sagte Ruben. „Obwohl es auch nicht ganz ausgeschlossen ist – es gibt ja Spekulationen, daß die Bläschen Bausteine einer anderen Welt sind, warum dann nicht auch gleich Bewohner? Aber Spaß beiseite – ich schlage vor, daß der Widersprechende als erster den fraglichen Kristall röntgen darf.“
„Gut“, sagte der, „wenn du recht hast, muß das Bläschen da drin explodiert sein, nicht wahr?“
Ruben gab ihm die Koordinaten des Kristalls in der Baugruppe, wie der Steuerungstechniker sie errechnet hatte, und alle warteten gespannt auf das Ergebnis.
„Haha!“ sagte der Physiker plötzlich, der Ton lag zwischen Erstaunen, Triumph und Lachen. Dann berichtete er: „Es sind zwei große Störstellen im Kristall, wie paßt das zu deiner These?“
„Zwei?“ fragte Ruben ungläubig. „Ja, dann…“ Er wußte nicht, was dann sein könnte, aber Esther wußte es.
„Dann hat sich das Bläschen nach Aufnahme von Masse geteilt, und die beiden Teile sind explodiert.“
„Teilung – schon wieder eine neue Spekulation.“
„Warum nicht? Teilung und Verschmelzung sind Grundreaktionen der Materie.“
„Und warum hat es sich nur einmal geteilt und nicht unbegrenzt? Und warum…, warum…, warum…“
Es gab ja auch tausend Fragen, die ebenso viele oder eigentlich hundertmal mehr Untersuchungen und Experimente erforderten, aber so viel war Verteidigern wie Kritikern klar, daß jetzt eine neue Etappe der Bläschenforschung begann und daß dieser Krümel von einem Kristall der Stern war, der über der neuen Etappe leuchtete. Und so waren sich alle einig, daß man jetzt, vor jedem weiteren Experiment, diesen kostbaren Kristall nach Gagarin bringen mußte, wo angemessene apparative Möglichkeiten für seine Untersuchung bestanden.
Ruben richtete den Zollstock auf Startposition aus.
3
Wenzel lag in der schon wärmeren Mittagssonne, die schlafende Pauline im Arm, und grübelte. Neben ihnen, auf der Lichtung, grasten ihre Pferde.
Es war alles anders gekommen, als er beabsichtigt hatte. Was er auch angefaßt hatte – statt Klarheit waren Unklarheiten, statt Gewißheit Ungewisses herausgekommen.
Zwei Tage lang hatten sie alles und alle noch einmal untersucht und befragt, um sich ein genaues Bild über Otto Mohrs letzte Tage zu verschaffen, sowohl zeitlich und räumlich als auch hinsichtlich seines seelischen Befindens. Es gab jemanden, zu dem Otto Mohr gesagt hatte, er freue sich über den baldigen Besuch seiner Ehemaligen, und derjenige hatte sich noch gewundert, daß da kein bißchen Ironie oder Bitterkeit mitgeklungen hatte, sondern nur ganz reine und ehrliche Freude.
Ein anderer wiederum erzählte, Otto habe sich ihm gegenüber mißbilligend über seine Kinder ausgesprochen, in sanfter, sozusagen kopfschüttelnder Mißbilligung freilich, nicht zornig oder ärgerlich. Ein paar zeitliche Präzisierungen
Weitere Kostenlose Bücher