Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
Vom Netzwerk:
Nachbarn wogen schwer, es hätten handfeste Tatsachen dazu gehört, sie alle für Getäuschte zu halten. Und dann und vor allem: Wie hatte er den Selbstmord gemacht? Wie denn?
    Hatte er aber vorgehabt, eine große künstlerische Leistung zu präsentieren – wieso hatte er dann nur seine Frau eingeladen und nicht auch seine Kinder? Vielleicht war das Verhältnis zu den Kindern aus irgendeinem Grund, den Wenzel nicht kannte, etwas getrübt – aber dann wäre doch hierbei die beste Gelegenheit gewesen, das in Ordnung zu bringen! Und woran, ja, woran wäre er dann gestorben? Und dann stand da immer noch der Schemel auf dem Boden unter der Schlinge, von der auch der Inder berichtet hatte, und es war Wenzel schon beim erstenmal aufgefallen, daß keine dicke Staubschicht darauf lag.
    Nein, so ging es auch nicht weiter. Der einzige Gegenstand, der noch weiterführen konnte, war diese Werkzeugtasche mit den Röhrchen – und das war eine schwierige Geschichte: Sie trug kein Herstellerzeichen, war also, obwohl anscheinend industrielles Erzeugnis, eine Sonderanfertigung nach Kundenwünschen, für das der betreffende Betrieb keine Urheberschaft übernahm. Und da auch keine Korrespondenz vorlag und nicht einmal eine Vorstellung, worum es sich eigentlich handelte, konnte man nicht einfach den Computer suchen lassen; denn suchen, ohne zu wissen, wonach, konnten nur Menschen.
    Oder war dieser verdammte Fall daran schuld? Daß er hier lag mit einem schönen Mädchen im Arm – denn schön war sie inzwischen für ihn – und nichts Besseres zu tun hatte als über eines anderen Tod zu grübeln? Daß ein Riegel das letzte, tiefste Gefühl der Vereinigung zugesperrt hatte? Waren die Gedanken an diesen Fall der Riegel gewesen und nicht etwa Divergierendes in den seelischen Kräften? Wenn er sie so ansah, wenn er ihr ins Gesicht sah…
    Nein. Alles Konkrete, Faßbare hatte gestimmt. Er lächelte über das gedachte Wort faßbar. Aber es war wie in diesem Fall: Alles Konkrete verwirrte. Die erste und gröbste heuristische Regel besagte: Wenn du nicht weiterkommst, denke das Gegenteil. Das Gegenteil vom Konkreten also. Den Fall Mohr ohne den Brief. Ohne diese Werkzeugtasche. Ohne den singenden Glasvorhang. Ohne den Schemel und die Schlinge. Ohne den Glasstab, den Otto Mohr wohl zufällig in der Hand gehalten hatte. Was blieb dann übrig? Nichts. Nein, so ging es auch nicht.
    Halt, hier war irgendwo ein Haken. Wenn der Glasstab nicht gewesen wäre und das Blut, dann wäre es wahrscheinlich überhaupt kein Fall geworden. Nun wieder zurück zum Konkreten: Was wäre geschehen? Pauline hätte sich ein wenig gewundert und den Arzt gerufen. Der Arzt hätte sich gewundert und den Totenschein ausgestellt. Die Ratgeberin, ebenfalls etwas verwundert, hätte ihn gegengezeichnet und zu den örtlichen Papieren gelegt, nachdem sie beide die Todesnachricht an den Computer gegeben und mit ihren Kennungen bestätigt hätten… Nein, er war jetzt über den Punkt schon hinausgeschossen, das fühlte er. Also wieder abstrakt: Alle hätten sich ein wenig gewundert und, abgesehen von Trauer und Tränen, sich zufriedengegeben. Daß es ein Fall wurde, war einem Zufall zu danken: dem Zufall, daß Otto Mohr den Glasstab in der Hand gehabt hatte, oder wenn das kein Zufall gewesen sein sollte, dann dem Zufall, daß er gerade so unglücklich fiel, daß Sturzrichtung und Handhaltung zum Zerreißen der Halsschlagader führten. Ob das ein seltener Zufall war? Je seltener der Zufall…
    Die plötzliche Erkenntnis schüttelte ihn. Entsetzlicher Gedanke! Wenn hinter diesem Tod eine unbekannte Ursache steckte, dann war es möglich, daß diese Ursache schon viel mehr Menschen umgebracht hatte; denn ihr Tod wäre ja nicht aufgefallen! Hundert konnten es sein. Tausend. Je seltener der Zufall, um so mehr. Und ebenso viele waren gefährdet. Man mußte sofort – ja, was mußte man? Vergleichbare Fälle untersuchen. Was waren vergleichbare Fälle? Unerwartet eingetretene Herzinfarkte? Vielleicht. Das mußte überlegt und beraten werden. Aber klar war jetzt schon eins: Es war nur der Schatten eines Verdachts, wenn auch eines ungeheuerlichen; sie mußten ihn selbst verdichten oder wegwischen, das konnten sie niemand anderem übertragen. Sie wußten ja nicht einmal, falls der Verdacht sich bestätigte, in welchem Bereich die Ursache zu suchen war. Unbekannte Erreger? Aber dann hätte es lokale Häufungen gegeben, die längst aufgefallen wären. Psychische Störungen? Aber die rufen

Weitere Kostenlose Bücher