Kurs Minosmond
vollzog sich normal, an mehreren Steuerplätzen wurde nun intensiv gearbeitet, um wenigstens flüchtig alle Daten durchzusehen, auf die es ihnen ankam. Sie hatten dafür drei Minuten eingeplant, also eine Zeit, die kürzer war als die bisher erreichte Lebensdauer im zweiten Stadium.
Die drei Minuten kamen Ruben vor wie eine Ewigkeit. Schließlich liefen aber doch die letzten Sekunden. Drei – zwei – eins – null… Das Bläschen war im Target verschwunden. Nicht reflektiert, aber auch ohne sichtbare Wirkung. Die Geschwindigkeit des Bläschens war diesmal bekannt, damit auch seine Energie, es konnte auf keinen Fall das Target durchschlagen haben, sondern mußte darin steckengeblieben sein. Explodiert war es auch nicht, das Target war so klein gehalten, daß eine Bläschenexplosion auch in seinem Innern meßbar gewesen wäre. Neun Sekunden, zehn, elf – da!
Plötzlich glühte das Target auf, und gleich darauf verpuffte es. „Die Kettenreaktion!“ rief Akito.
Ruben schaltete. Deutlich erschien auf einem kleinen Arbeitsschirm seines Pultes eine steile Glockenkurve. „Übernehmt mal auf Schirm C – das ist die charakteristische Strahlungsemission bei der Bläschenexplosion. Sie haben sich vermehrt, sind aber alle explodiert.“
„Alle?“ fragte Akito ironisch.
„Gegen eine Kettenreaktion spricht die Dauer. Wenigstens gegen eine unvermittelte. Eine vermittelte aber kann man steuern!“ Es war Esther, der das sofort aufgefallen war.
Ruben hielt sich immer noch aus dem Streit heraus. Er wollte möglichst viel erfahren über das, was sich da abgespielt hatte. Er betrachtete, nun aus der Konserve, das Leuchten des Targets im Spektrographen. Selbstverständlich herrschten dort die Linien des Wasserstoffs vor, daraus bestand ja das Target. Aber wenn auch schwächer, wurden doch andere Linien sichtbar; die des Heliums und, noch schwächer, die des Sauerstoffs.
Später schien es ihm, als ob er bereits in diesem Moment geahnt hätte, was daraus folgen sollte. Jedenfalls, die grundsätzliche Idee durchfuhr ihn wie ein Blitz.
5
Innerhalb von vierzehn Tagen hatte Pauline erlebt, wie schnell man schwimmen lernt, wenn man ins Wasser geworfen wird.
Sie hatte eine Idee gehabt, einen glücklichen Einfall, wichtig für die Untersuchung, zur rechten Zeit, am rechten Ort: Wenn, so hatte sie gesagt, einige Todesfälle auftreten nach dem mit mehreren Beispielen erhärteten Wandel vom Unglück zum Glück im Lebensalter um die Fünfzig oder knapp darüber, wenn also irgendwelche noch unbekannten Ursachen im Menschen selbst dies hervorrufen, dann konnte man damit rechnen, daß diese Ursachen bei sehr viel mehr Menschen wirken, vielleicht ohne Folgen, vielleicht mit weniger aufsehenerregenden Folgen, leichten Schwindelanfällen etwa oder ähnlichem, die niemand beachtet, auch der Betroffene nicht, weil sie sich nicht wiederholen.
Wenn das aber zutraf, würde ein Langzeitversuch mit einer größeren Anzahl Menschen, die für so etwas anfällig sein konnten, weiterhelfen. Wenn man das. auf eine Stadt beschränkte, etwa Berlin, oder sogar nur auf ein oder zwei Stadtbezirke, sollte man die Dringliche Medizinische Hilfe einbeziehen, die medizinische Sektion der Universität, andere Kliniken und Forschungseinrichtungen. Und sicherlich würde man unschwer fünf- oder zehntausend Leute finden, die bereit wären, tagsüber einen Stirnring mit Elektroden für das EEG und einen Pulsmesser am Handgelenk zu tragen, deren Werte an eine Zentrale zu funken und vom Computer zu überwachen wären.
Nach der inzwischen erfolgten grundsätzlichen Zustimmung des RR und des Schlichters zur Freigabe von Personaldaten im Rahmen dieses Problems gab es keine prinzipielle Schwierigkeit mehr, Paulines Idee in die Tat umzusetzen – nur einen gewaltigen Berg Arbeit. Die zu leisten oder leisten zu lassen, beauftragte Wenzel seine junge Mitstreiterin. Er hatte dafür mehrere Gründe. Einige Tage mußte er in Prag damit zubringen, laufende Arbeiten zu erledigen, die sich inzwischen angehäuft hatten. Danach wollte er wieder ins Vorwerk, den ganzen Fall Mohr noch einmal mit Sibylle und anderen durchgehen, weil ihm schien, daß er immer noch nur die Fakten, das Äußerliche, begriffen habe und nichts über die seelische Dynamik des Vorgangs wisse.
Der Hauptgrund aber, daß er Pauline die Aufgabe übertrug, ihre eigene Idee in die Tat umzusetzen, war perspektivischer Natur. Immer tiefer verdichtete sich in ihm die Gewißheit, daß dieser Fall sich ausweiten
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