Kurs Minosmond
wachzuhalten, stelle mich auf einen Stuhl und stecke den Hals in eine Schlinge, doch das ist alles Mumpitz. Nun habe ich begonnen, mich durch Meditation in einen entsprechenden Zustand zu versetzen, in dem ich dann die Wirksamkeit meiner Entwürfe prüfen kann. Denn ohne diese Mühe hätte ich den ganzen Tag gute Laune und brauchte die Stimulierung nicht, könnte also die Wirksamkeit nicht beurteilen.“
„Monate später.“
„Mein indischer Gast warnt mich vor meinen Meditationen, erstens wegen ihres Gegenstandes und zweitens, weil ich darin ungeübt bin. Wahrscheinlich hat er recht, ich brauche sie jetzt auch fürs erste nicht mehr, ich habe mir Meßgeräte anfertigen lassen. Später muß ich freilich noch mal darauf zurückkommen. Die vor mir liegende Strecke stellt wohl mehr kunsthandwerkliche Anforderungen. Aber etwas anderes ist mir beim Abhören all dieser Notate eingefallen. Ich bin meiner Frau – meiner früheren Frau, muß ich ja sagen – etwas schuldig, ich habe in den ersten Aufzeichnungen davon gesprochen. Wie wäre es, wenn ich ihr dieses Werk widme und schenke? Sicherlich braucht sie bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit manchmal eine Ermunterung, eine Aufhellung des Gemüts. Also müßte ich das Werk so bauen, daß es nur von ihr angeregt wird. Ich kann sie aber nicht gegenwärtig machen. Nun denke ich mir – wir klangen damals in so idealer Weise zusammen, konnten uns fast ohne ein Wort aufeinander einstimmen –, daß vielleicht das Werk, das auf mich reagiert, es auch bei ihr tut. Wenn es fertig ist, werde ich sie einladen.“ Sibylle schluckte und schaltete ab. Eine lange Zeit sprach niemand. Schließlich erhob sich Wenzel und ging auf und ab. Jetzt sahen alle, daß er in tiefes Nachdenken versunken war, und niemand wollte ihn stören. Endlich blieb er vor den anderen stehen und sah sie an.
„Das wird ein globales Problem!“ sagte er. „Früher konnte Unglück tödlich sein, das war schlimm, weil es viel Unglück gab. Wenn aber jetzt, in unserer Epoche der Heiterkeit, das Glück tödlich wirken kann… Das ist Irrsinn! Dem muß man beikommen! Jetzt werden sie wohl die Namen freigeben.“
„Ja, das halte ich auch für selbstverständlich“, sagte Klara Mannschatz. „Und was macht dir dabei Sorgen?“
„Ich weiß es“, sagte Sibylle, als Wenzel nicht gleich antwortete. „Ich hatte gedacht, nachdem ich die Notate gefunden und gehört hatte, jetzt sei der Fall geklärt. Nun stellt sich heraus, daß er neue, bedeutendere Fragen aufwirft. Ich glaube, bei diesem Problem führt jede Lösung nur zu neuen, schwierigeren Problemen. Es gibt ja so was.“
„Das Gefühl habe ich auch“, sagte Wenzel nur. „Ich fürchte, es ist eine Lebensaufgabe. Wenn ich jetzt den Fall nicht abgebe, werde ich das später nicht mehr können. Mein ganzes Leben wird sich verändern. Meine Zukunftspläne, meine künstlerischen Absichten und Wünsche, alles.“
„Und? Wie wirst du dich entscheiden?“ fragte Klara Mannschatz.
„Ich weiß noch nicht. Aber etwas anderes müssen wir gleich regeln. Pauline, du hattest recht – es gibt doch einen Zusammenhang zwischen den Meditationen und dem Tod. Willst du an dieser Sache dranbleiben? Ich denke, sie wird weit hinausführen aus dem Vorwerk, dem Kreis, auch aus der Region – wer weiß wohin. Wenn du dich dafür entscheidest, brauchen sie hier einen neuen Ordner.“
„Ich will dranbleiben“, sagte Pauline so gleichmütig, als sei die Frage für sie schon entschieden gewesen, bevor sie eben gestellt worden war. Sie nickte noch mal, wie zur Bestätigung; denn mit diesem Gedanken gespielt hatte sie schon vorher, aber erst jetzt, in der Sekunde, nachdem sie zugesagt hatte, hatte das Gefühl sie überfallen, sie habe ihr Leben lang auf so etwas gewartet.
Wenzel lächelte die andern an. „Vielleicht sollte ich mir daran, ein Beispiel nehmen?“ fragte er. „Soviel älter bin ich mit meinen Fünfzig doch auch nicht.“
Der Streit brach aus, nachdem die Meßergebnisse des letzten Experiments durchgesehen und vorläufig ausgewertet waren. Es ging aber nicht um die Deutung der Ergebnisse, obwohl die mit einfloß. Es handelte sich darum, was weiter geschehen sollte.
„Natürlich ist das wichtigste Ergebnis die Wiederholbarkeit des zweiten Stadiums“, sagte Esther, als sie sich zur Besprechung zusammengesetzt hatten. „Aber als nächstwichtiges Ergebnis rechne ich eine Tatsache, die sich während der letzten Serien herausgestellt hat: Die Bläschen sind
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