Kurt Ostbahn - Peep- Show
können.
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Der Trainer läßt ein herzergreifendes Gähnen los.
Es ist acht Uhr früh. Heute mittag soll die Rikki ihre letzte Reise antreten. Und damit beim Begräbnis, ermittlungstechnisch gesehen, alles reibungslos abläuft, hat man ihn wieder einmal zu einer Konferenz in die Kirchengasse zitiert. Zu nachtschlafender Zeit.
In der wie immer düsteren Behausung des Dr. Trash steht das Stimmungsbarometer auf Tief. Schwermütige Gesänge erfüllen die Datenzentrale, während der Doc draußen im Vorzimmer in seinem Kleiderkasten herumkramt.
»Muß die Selbstmördermusik sein?« brüllt der Trainer durch die offene Tür.
»Das ist Nico, du Kulturbanause«, rügt ihn der Doc.
»Mit ihrer tieftraurigen Version von Jim Morrisons › The End ‹ . Dem Anlaß entsprechend, sozusagen. Und jetzt laß mich in Ruhe, ich muß mich einkleiden.«
»Du trägst doch sowieso immer Schwarz — wo ist das Problem?« ätzt der Trainer. Als keine Antwort kommt, starrt er eine Zeitlang resigniert in sein Kaffeehäferl, bevor er zur Fernbedienung des tragbaren Notfernsehers (das Breitwandgerät hat der Hammerunhold vernichtet) greift und tonlos durch die Sender surft.
»Schnell, Doc, das mußt du sehen!« ruft er plötzlich aufgeregt und dreht den Ton auf. Als Trash herbeieilt, wird er in den Frühnachrichten mit dem Bild des verblichenen Erwin Stelzhammer konfrontiert.
».. .meldet, daß der Unfall mit Fahrerflucht, der sich vor genau einer Woche beim Wiener Donauzentrum ereignete, aufgeklärt werden konnte«, sagt der Sprecher gerade. »Es handelte sich um eine Racheaktion. Das Opfer, Erwin W., war Angestellter eines Wachdiensts und soll das weibliche Mitglied einer Jugendbande sexuell belästigt haben. Der gestohlene Wagen wurde Montag vormittag sichergestellt; darin entdeckte Fingerabdrücke führten zu den vorbestraften Tätern. Die drei verhafteten Jugendlichen - Patrick W., Klaus H. und Dragan M. — sind geständig.«
»Ein Drive-by, wie der amerikanische Vorortbewohner sagt«, kommentiert der Doc und schaltet den Fernsehton wieder ab. »Sowas hab ich mir gleich gedacht. Unser Killer arbeitet nicht mit derart primitiven Methoden.«
Und damit macht er sich wieder auf die Suche nach der passenden Trauerkleidung.
***
Der Marsch zum Haupttor des Baumgartner Friedhofs treibt dem Trainer den Schweiß aus allen Poren. Er hat seine froschgrüne Rostlaube in der Hütteldorfer Straße geparkt und schleppt sich - vorbei an Steinmetzbetrieben und Grabgärtnereien — die Waidhausenstraße hinauf zu dem Gottesacker, in dem Rikki Horvath in knapp einer Viertelstunde zur letzten Ruhe gebettet werden soll.
Der Trainer ist spät dran. Eigentlich sollte er bereits seit fünf Minuten etwas abseits der Aufbahrungshalle auf seinem Posten sein. Aber das war nicht seine Idee. Franz Brunner, der frühpensionierte Krimineser und Dietrich-Experte, hatte bei ihrer morgendlichen Einsatzbesprechung die Aufgabenverteilung vorgenommen. Kritik oder Gegenvorschläge waren unerwünscht. Und so hat der Trainer nun die undankbare Rolle eines an der Causa Rikki völlig unbeteiligten Friedhofsbesuchers, der sich in der prallen Mittagssonne die steile Straße zum Haupttor hinaufquält, eingezwängt in einen viel zu engen schwarzen Zweireiher und beinahe stranguliert von seiner einzigen Krawatte, die mindestens so scheußlich aussieht, wie sie sich um seinen Hals anfühlt. Stahlblau, mit vielen kleinen Regenbogenforellen.
Der Trainer schnaubt wie eine alte Dampflok, spürt den Schweiß in Bächen seinen Rücken hinunterrinnen und sieht überall bunte Sterne. Auf dem Asphalt, in den Bäumen, in den Gesichtern der Passanten. »Wenn nicht bald ein großes Bier vorbeikommt, oder zumindest ein Soda-Zitron, steh ich den Aufstieg nicht durch, geschweige denn das Begräbnis«, geht es ihm durch den Kopf, als sich eine knochige Hand auf seine Schulter legt.
Der Trainer fährt herum und blickt in das von roten und grünen Sternchen umrahmte Gesicht des Rudolf Polifka.
»D’Ehre, Herr Trainer«, sagt der greise Peep-Show-Mitarbeiter. »I wollt Ihnen ned erschrecken. Is eh alles in Ordnung — gsundheitlich, mein ich?«
»Tag«, keucht der Trainer. »Wieso?«
»Sie san rot wia a Krebs im Gsicht und waschlnaß. Sie solltn Ihnen Fiebermessen. Weu so gfallns ma gar ned. Sie schaun ja aus wie seinerzeit der Laurence Harvey in › Die Nacht des Leguan ‹ !«
Dann öffnet er umständlich seine antike Aktentasche, mit der er wahrscheinlich schon in der
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