Kurt Ostbahn - Peep- Show
gerade zu einer Antwort ansetzen will, hebt Klein-Andrej die Waffe, zielt auf seinen Kopf und drückt ab. Den Bruchteil einer Sekunde lang glaubt der Hobbykriminalist, sein letztes Stündlein habe geschlagen; doch dann zerplatzt ein dicker Wasserstrahl an seiner Stirn. Brodskij und Sohn zerkugeln sich vor Lachen.
»Sehr witzig«, knurrt er und funkelt sein Gegenüber zornig an.
»Aber, aber, Herr Doktor«, erwidert Brodskij und läßt die kultivierte Maske fallen. Für einen Augenblick sieht er aus wie der brutale Schlachtergeselle, der er in seiner Heimat wahrscheinlich gewesen ist. »Sie sollten froh sein, daß Sie noch leben. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn meine Assistenten Sie beim Einbrechen erwischt hätten. Sie sähen jetzt möglicherweise aus wie Ihre gute Bekannte Rikki Horvath.«
Dem Doc entgeht nicht, daß man sich wieder einmal bestens über ihn und seine Angelegenheiten informiert hat. Er beschließt, diplomatisch zu schweigen. Schließlich muß es einen Grund geben, daß einer der Capos der Wiener Russenmafia ihn nicht einfach kaltgemacht hat. Also wartet er ab.
»Schauen Sie, Herr Doktor, ich weiß genau, wie Sie und Ihre Landsleute über › Ostblock-Gesindel ‹ wie mich denken«, sagt Brodskij ernst. »Doch das ist mir egal. Wenn man den Großteil seines Lebens unter kommunistischer Herrschaft verbracht hat, ist man wesentlich schlimmere Demütigungen gewöhnt — vor allem jene, daß man es in einem solchen System nicht aus eigener Kraft zu etwas bringen kann. In Österreich bin ich ein erfolgreicher Geschäftsmann, der nichts anderes tut, als menschliche Bedürfnisse zu befriedigen.«
»Das hat schon Al Capone gesagt«, wendet der Doc selbstmörderisch ein.
»Und recht hatte er. Dumm war nur, daß er sich von der Steuerbehörde erwischen ließ. Aber das kann mir dank meiner überaus fähigen Finanz- und Rechtsberater nicht passieren.«
»Apropos - genau deswegen wollte ich Sie sprechen«, meint der Doc und zieht ein liniertes Quartheft hervor, das er in seinem Hosenbund versteckt gehabt hat. Er schlägt eine Seite auf und reicht dem russischen Paten sein Mitbringsel über den edlen Schreibtisch. »Lesen Sie.«
»Daß ich die 150.000,- ohne Bürgen und Sicherheiten nicht zinsenfrei kriegen würde, habe ich ja gewußt. Aber 14,5 Prozent sind schon ein ziemlicher Hammer«, trägt Brodskij den rot umrandeten Teil aus Rikkis Tagebuch vor. »Sehr interessant — aber worum geht es hier?«
»Ganz einfach. Ihre Firma hat dem Fräulein Horvath einen Kredit über den genannten Betrag gegeben. So steht‘s in ihrem Tagebuch - und wenn eine Frau jemandem die Wahrheit sagt, dann bekanntlich ihrem Tagebuch.«
Brodskij nickt. »Stimmt. Und weiter?«
»Aber Sie wissen doch genau, wie‘s weitergeht, Herr Brodskij«, sagt der Doc. »Ihr Geschäftsführer, der werte Herr Schraake, konnte anscheinend nicht genug kriegen. Als er neulich bei Rikkis Mutter auftauchte und ihr Lokal in Zahlung nehmen wollte - und das wegen der lächerlichen Summe von 150.000 Schilling —, ist mir ein Licht aufgegangen. Ich schätze, in Ihrer Kopie des Kreditvertrags findet sich ein Betrag, der um einiges höher ist.«
»Um das Zehnfache, wenn Sie es genau wissen wollen«, entgegnet der Russe, dem das Lachen jetzt eindeutig vergangen ist. »So etwas Ähnliches habe ich schon vermutet, und aus diesem Grund ist Herr Schraake auch schon unterwegs hierher. Aber ich danke Ihnen trotzdem für Ihre Information, Herr Doktor Trash. Wenn Sie mir in Zukunft etwas mitzuteilen haben, brauchen Sie nicht mehr den Hintereingang zu benutzen - meine Tür steht Ihnen stets offen. Und jetzt möchte ich Sie nicht länger aufhalten.«
Als der Doc von einem höflichen und original britischen Butler zum Eingangstor geleitet wird, kommt ihm ein dunkler Mercedes entgegen, auf dessen Rücksitz Dr. Schraake sitzt und ziemlich nervös wirkt. Das mag unter anderem daran liegen, daß er zwischen zwei gefährlich wirkenden Individuen eingeklemmt ist, die seine Arme wie Schraubstöcke umklammert halten. Trash winkt, und der eine Gorilla läßt das Autofenster heruntergleiten.
»Begrüße Sie, mein lieber Schraake!« sagt der Doc jovial. »Ich wollte mich nur noch für das Geschenk bedanken, das Ihr Freund an meine Wohnungstür genagelt hat. Ich glaube, Sie werden das Katzerl noch beneiden ...«
Dann dreht er sich um und verläßt fröhlich pfeifend das Anwesen des russischen Geschäftsmanns.
Besser hätte der Tag gar nicht beginnen
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