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Kurz bevor dem Morgen graut

Kurz bevor dem Morgen graut

Titel: Kurz bevor dem Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kimmelmann
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Welt.
    Als er Dr. Weilers Aufruf las, bewarb er sich sofort. Weiler merkte schnell, dass er wirklich einen talentierten Klarträumer mit vielen Jahren Erfahrung vor sich hatte. Er machte ein paar Testläufe mit ihm, kalt, ohne Medikation. Er war begeistert von den Ergebnissen, die er auf seinem EEG ablesen konnte.
    „Sie können die Zukunft des Klartraums revolutionieren“, machte Weiler ihm das Projekt schmackhaft. „Jeder kann ein Klarträumer sein. Und nicht nur für ein paar Stunden. Man kann seine Dosis so wählen, dass man genau so lange träumt, wie man möchte. Verlassene können Zeit mit ihren früheren Partnern im Traum verbringen, Sie können glückliche Momente Ihres Lebens wiederholen oder gar als Ritter im Mittelalter ...“
    „Ich verstehe“, unterbrach er ihn. „Aber ist das nicht gefährlich für die Leute, ständig auf Drogen zu träumen?“
    „Nicht im Mindesten. Es ist ihre Chance auf ein besseres Leben.“
    Aus seiner damaligen Sicht hatte Weiler recht gehabt. Darum legte er sich an jenem Tag, der wohl sein letzter im realen Leben war, bereitwillig auf seinen Tisch. Er ließ sich das Präparat injizieren und schlief ein. Kurz bevor ihm die Augen zufielen, sah er noch in Weilers Gesicht. Ein Ausdruck von Besorgnis war in Weilers Augen, der ihm eine Gänsehaut verursachte. Er hat dieses Gesicht seither nie wieder gesehen. Wie lange das her ist, weiß er nicht.

    Er landete genau an dem Punkt im Traum, auf den er sich konzentriert hatte. Er stand auf einer Alm, alles um ihn herum war grün, er hörte Kuhglocken. Das letzte Mal war er als Siebenjähriger in so einer Idylle gewesen, in den Sommerferien mit seinen Eltern. Er ging ein Stück über die grünen Wiesen, bis er zu einer Hütte kam. Sie sah genau so aus wie in seiner Vorstellung. Er wusste, wer darin wohnte. Wen er sich hineingeträumt hatte. Bettina öffnete ihm. Sie sah genau so scharf aus wie mit 16. Eigentlich war sie auch 16 in seinem Traum. Ihr langes blondes Haar fiel ihre Schultern hinab, sie trug ein hautenges rosa Top und eine noch engere blaue Jeans, wie früher. Sie sah ihn mit ihren meerblauen Augen an und leckte sich ihre tiefrosa geschminkten Lippen. Er war zu Hause.
    Er verbrachte nicht viel Zeit mit Konversation, sondern riss ihr die Kleider vom Leib und nahm sie auf dem Küchentisch, so wie er es sich immer im richtigen Leben vorgestellt hatte. Sie sagte kein Wort und tat alles, was er wollte. Danach warf er sie unwillig vom Tisch und befahl ihr, ihm etwas zu Essen zu machen. Sie gehorchte. Er hatte sich beeilt bei ihr, weil Weiler gesagt hatte, die Testphase würde nur zwei Stunden dauern. Er wollte schließlich noch ein paar andere Sachen in diesem Traum ausprobieren, nicht nur Bettina. So beschloss er, nach dem Essen weiter zu ziehen. Der Gedanke, sie zu töten, kam ihm erst kurz vor seinem Aufbruch. Aber es war ein verlockender Gedanke. Einfach dafür rächen, dass sie ihn all die Jahre in der Schule wie Luft behandelt hatte, obwohl er sich nach ihr verzehrt hatte. Er befahl ihr, sich umzudrehen und hin zu knien. Sie folgte widerstandslos seinem Willen. Es tat ihm fast leid um sie, aber in diesem Traum konnte er sie ja jederzeit neu erschaffen. Also packte er sie von hinten an den Haaren und schnitt ihr mit dem Küchenmesser die Kehle durch. Sie schrie nicht, sie machte nur ein hässlich gurgelndes Geräusch und fiel dann auf den hölzernen Fußboden, der mit ihrem Blut getränkt wurde. Er wischte das blutige Messer an seiner Hose ab und verließ die Hütte. Draußen drehte er sich dreimal um die eigene Achse, eine Methode, die er schon früher bei Klarträumen angewendet hatte, um den Ort zu wechseln.

    Er landete in Paris, einer Stadt, die er schon immer hatte besuchen wollen. Er hatte eine herrliche Zeit. Er stieg den Eiffelturm hinauf und genoss den Blick über die Seine. Auf dem Place de la Concorde lernte er Monique kennen. Sie war dunkelhaarig, hatte rehbraune Augen und war unglaublich hübsch. Er küsste sie ohne Vorwarnung und nahm sie mit auf sein Zimmer, natürlich in einem 5-Sterne-Hotel in der Nähe der Oper. Nach einer kurzen, aber schönen Nummer mit ihr, begann er sich langsam Sorgen zu machen. Es war schon viel Zeit vergangen und er wachte noch immer nicht auf. Ob etwas schief gelaufen war? Aber vielleicht war es auch nur so, dass einem in dieser Art von Klartraum die Zeit länger vorkam, beruhigte er sich.
    Als er sich nach diesem Gedanken umdrehte, war Monique verschwunden. Das erschreckte ihn

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