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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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oben, um nach ihr zu sehen. Sie sitzt auf dem Bett, das einmal das ihre war,
     hält den kleinen grünen Rucksack wie ein Baby in den Armen und drückt ihn an sich. Ausdruckslos starrt sie mich an.
    »Valentina.« Ich setze mich neben sie und lege eine Hand auf den Rucksack vor ihrem Bauch. »Das mit dem Baby ist wunderbar.«
    Sie antwortet nicht, starrt mich nur weiter an.
    »Ist Ed der Vater? Ed vom Hotel Imperial?«, frage ich auf gut Glück. Sie weiß, dass ich nur rate.
    »Warum du müssen überall dein Nase hineinstecken? Warum?«
    »Er scheint ein sehr netter Mann zu sein.«
    »Ist netter Mann. Ist nicht Vater von Baby.«
    »Oh – verstehe. Wie schade.«
    |290| Wir sitzen nebeneinander. Ich schaue sie an, doch sie starrt mit gerunzelter Stirn angestrengt vor sich ins Leere und zeigt
     mir nichts als ihr hübsches Profil, die geröteten Wangen, einen unbewegt teilnahmslosen Mund, ihre mit der Schwangerschaft
     strahlend erblühte Haut. In den Tiefen ihrer sirupfarbenen Augen scheinen Funken aufzublitzen. Wenn ich doch Gedanken lesen
     könnte.
    Ich weiß nicht, wie lange wir schon so dasitzen, als uns das Geräusch eines draußen vorfahrenden Autos aufschrecken lässt.
     Der weiße Rolls-Royce muss am Straßenrand parken, weil im Garten neben dem Lada und dem Schrottauto kein Platz mehr für ihn
     ist. Vier Männer, allesamt grinsend wie die Honigkuchenpferde, klettern heraus. Sie unterhalten sich in fröhlichem Kauderwelsch,
     und ich sehe vom Fenster aus, wie Vater die Arme in die Luft wirft, als er den Lada auf seinem Rasen stehen sieht. Er winkt
     Dubov zu sich heran, um ihm irgendwelche technischen Eigenheiten daran zu erklären, doch Dubov scheint sich mehr dafür zu
     interessieren, wo seine Besitzerin abgeblieben ist. Eric Pike hält Mike am Ellbogen fest, während er mit der anderen Hand
     heftig gestikuliert. Dann sind sie aus meinem Blickfeld verschwunden, und ich höre sie unten in die Diele und ins Wohnzimmer
     stürmen.
    Und schlagartig herrscht absolute Stille, so plötzlich, als hätte jemand den Ton ausgeschaltet. Nichts ist zu hören. Bis in
     diese Stille Valentinas Stimme hineintönt: »Vater von Baby ist mein Mann Nikolai.«
    Als ich hinunterkomme, sind alle im Wohnzimmer versammelt. Valentina, die aufrecht wie eine Königin auf dem beigen Sessel
     an der Stirnseite des Raums thront, hat sie alle im Blick.
    Dubov und Papa sitzen nebeneinander auf dem Zweisitzersofa, Papa strahlt, Dubov hat den Kopf in den Händen vergraben. Eric
     Pike kauert auf dem Schemel am Fenster |291| und starrt alle finster an. Mike steht in der Ecke hinter dem Sofa. Er legt mir einen Arm um die Schulter, als ich mich neben
     ihn stelle.
    »Moment mal, Valentina«, sage ich. »Von Oralsex kann man aber nicht schwanger werden.«
    Sie wirft mir einen vernichtenden Blick zu. »Wieso du kennen Oralsex?«
    »Also, jedenfalls   …«
    »Nadia, bitte!«, unterbricht Vater mich auf Ukrainisch.
    »Valenka, Liebste«, sagt Dubov zärtlich. »Vielleicht, als du letztes Mal in der Ukraine warst   …? Ich weiß ja, dass es schon lange her ist, aber in der Liebe gibt es doch auch Wunder. Vielleicht hat dieses Baby auf unseren
     neuen Bund gewartet   …«
    Valentina schüttelt den Kopf. »Unmöglich.« Ihre Stimme zittert ein wenig.
    Eric Pike sagt gar nichts. Aber ich sehe, dass er verstohlen an den Fingern abzählt.
    Auch Valentina stellt Berechnungen an. Ihre Augen wandern von Dubov zu meinem Vater und dann wieder zurück zu Dubov, doch
     ihr Gesicht bleibt ausdruckslos.
    In diesem Moment werden draußen Schritte laut, und dann klingelt es energisch an der Tür. Sie ist nicht abgeschlossen.
    Sekunden später stürzt der kahle Ed, gefolgt von Stanislav, ins Zimmer. Ed drängt sich zu Valentinas Sessel durch, Stanislav
     bleibt an der Tür stehen, den Blick fest auf Dubov gerichtet, lächelt und blinzelt gegen Tränen an. Dubov winkt ihn zu sich
     her, macht ihm, indem er ein wenig näher an Vater heranrutscht, einen Platz neben sich auf dem Sofa frei und legt ihm einen
     Arm um die Schulter.
    »Gut, gut«, flüstert er und fährt dem Jungen über die dunklen Locken.
    Stanislavs Wangen glühen, und eine Träne löst sich von |292| seinen Wimpern, so dass es aussieht, als schmölze er in der Wärme der väterlichen Berührung, aber er gibt keinen Ton von sich.
    Der kahle Ed hat sich besitzergreifend neben Valentina aufgebaut. »Los, Val.« (Er nennt sie Val!) »Ich denke, es ist an der
     Zeit, dass du deinem Ex reinen Wein

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