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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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die Kinder bei euch ihren Lehrern keine Äpfel mit?«
    »Äpfel nie«, sagt Stanislav. »Wodka schon.«
    »Du Lehrer in Universität?«, fragt Valentina mich.
    »Ja.«
    »Ich brauch Hilfe für Stanislav mit Oxford-Cambridge-Universität. Du arbeiten in Cambridge-Universität. Also du helfen?«
    »Ich arbeite zwar in Cambridge, aber nicht an der Cambridge University. Ich bin an der Anglia Polytechnic University.«
    »Angella University? Was ist das?«
    Vater beugt sich zu ihr hinüber und flüstert: »Polytechnikum.«
    Valentina zieht die Augenbrauen in die Höhe und murmelt etwas, was ich nicht verstehe.
    Unser Essen kommt. Der Besitzer scheint besonders lang um Valentina herumzuscharwenzeln, als er die Teller vor uns hinsetzt.
     Sie schafft es zwar, ihre sirupfarbenen Augen träge auf ihn zu richten, aber es ist eine eher halbherzige Flirterei. Es ist
     schon spät, und wir sind alle viel zu hungrig für irgendwelche Höflichkeiten. Das Lamm ist zäh, und wir müssen es für Vater
     in winzig kleine Stücke zerschneiden. Annas Gemüse-Curry besteht nur aus Kohl. Mikes Curry ist ungenießbar scharf. Stanislavs
     Brathähnchen ist trocken und faserig. Valentinas Steak sieht aus wie ein Brett.
    |130| »Alles in Ordnung?«, fragt der Besitzer.
    »Wunderbar«, sagt Mike.
     
    Hinterher fährt Mike Vater, Anna und Stanislav nach Hause. Valentina und ich gehen zu Fuß. Die Bürgersteige sind vereist und
     wir halten uns aneinander fest. Erst nur, damit wir das Gleichgewicht nicht verlieren, doch nach einer Weile wird daraus ein
     kameradschaftliches Arm-in-Arm-Gehen. Trotz des trostlosen Essens hat uns eine Art freundliche Weihnachtsstimmung erfasst.
     Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen, tönt es mit Engelsstimmen vom kalten Winterhimmel. Eine Gelegenheit wie
     diese bekomme ich nie wieder.
    »Wie läuft es denn so?«, frage ich.
    »Gut. Alles gut.«
    »Und was hat es mit euren Auseinandersetzungen auf sich? Ihr streitet ja ziemlich oft.« Ich bemühe mich, freundlich und neutral
     zu klingen.
    »Wer sagt dir das?«
    »Valentina, das merkt doch jeder.« Ich will Stanislav nicht verraten, und Vater möchte ich auch raushalten.
    »Dein Vater nicht einfacher Mensch«, sagt sie.
    »Ich weiß.« Ich weiß sehr gut, dass ich es nicht tagein, tagaus mit ihm aushalten könnte. Fast bedaure ich schon den Brief
     ans Innenministerium.
    »Ganze Zeit er mir macht Ärger.«
    »Aber Valentina, du arbeitest in einem Altenheim. Du weißt doch, dass alte Leute schwierig sein können.«
    Was hat sie denn erwartet? Einen vornehmen älteren Herrn, der Geschenke auf sie herabregnen lässt und eines Nachts in aller
     Stille den Abgang macht. Nicht meinen schwierigen, zänkischen, sturen alten Vater.
    »Dein Vater mehr schwierig. Probleme mit immer Husten. Probleme mit Nerven. Probleme mit Baden. Probleme |131| mit Pipi.« Als sie mir ihr Gesicht zuwendet, fällt das Mondlicht auf ihr hübsches slawisches Profil, die hohen Wangenknochen,
     ihre geschwungenen Lippen. »Und andauernd, weißt du, küssen, küssen, küssen und anfassen hier, hier, hier   …« Sie fährt sich mit der behandschuhten Hand auf dem Mantel über Brüste, Schenkel und Knie. (Mein Vater soll das machen?)
     Es würgt mich in der Kehle, aber ich versuche, mit ruhiger Stimme zu antworten.
    »Sei einfach nett zu ihm, bitte.«
    »Ich nett«, sagt sie. »Wie zu eigen Vater. Du keine Sorge.«
    Sie rutscht aus und klammert sich fester an meinen Arm. Ich fühle, wie sich ihr warmer, sinnlicher Körper kurz an mich drückt,
     und rieche das süßliche Parfum, das ich ihr geschenkt habe und das sie sich über Nacken und Dekolleté gesprüht hat. Die Frau,
     die den Platz meiner Mutter eingenommen hat.

|132| 10.
Pitschi-patschi
    Vater ist aufgeregt. Die Inspektorin von der Einwanderungsbehörde hat ihren Besuch angemeldet. Nicht mehr lange, dann bekommt
     Valentina ihren Immigrantenstatus bestätigt, und damit ist auch ihrer beider Liebe für immer besiegelt. Sobald das Damoklesschwert
     der Abschiebung nicht mehr über ihnen hängt, werden sich alle Missverständnisse in Luft auflösen, und alles wird wieder, wie
     es war, als sie noch frisch verliebt waren. Vielleicht sogar noch besser. Vielleicht können sie ja eine neue Familie gründen.
     Dass die arme Valentina ständig Angst haben muss, ist doch der Grund, dass sie so reizbar ist. Aber nun sind diese Probleme
     ja bald ausgestanden.
     
    Die Inspektorin ist eine Frau mittleren Alters mit flachen Schnürschuhen

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