Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Intelligenzija jener Zeit war fasziniert
von diesen Ideen; Mutter, die die Äußerungen ihrer Schwiegermutter über Ehe, Kindererziehung und die beste Methode, Klöße
zuzubereiten, über sich hatte ergehen lassen müssen, nannte sie schlichtweg Unsinn.
Und dennoch. Dennoch hat Vater mir, als ich klein war, so wunderbare Geschenke gemacht. Zum Beispiel Modellflugzeuge aus Balsa-Holz,
die mittels Gummibändern fliegen konnten – und die ganze Straße kam und sah zu. Oder eine Garage mit Inspektionsgrube aus
Holz und Aluminium, mit einem von einem Gummiband gezogenen Aufzug für die Spielzeugautos, in dem sie aufs Oberdeck gehievt
werden konnten, und einer kurvigen Abfahrtsrampe, auf der man sie wieder hinuntersausen lassen konnte. Und einmal bekam ich
zu Weihnachten einen Bauernhof, wie sie ihn damals in der Ukraine gehabt hatten: Ein Bauernhaus mit echten Fenstern und Türen
und ein kleines Stallgebäude mit schrägem Dach für die gusseisernen Kühe und Schweine standen auf einer grün gestrichenen
Hartfaserplatte, die rundherum von einer weißen Mauer umgeben war, und das Hoftor hatte Scharniere und konnte auf- und zugemacht
werden. Wenn ich jetzt an diese Geschenke zurückdenke, ergreift mich Verwunderung. Ich habe schon so lange nicht mehr an die
Dinge gedacht, deretwegen ich meinen Vater einmal geliebt habe.
»Aber vielleicht würden sich Valentina und Stanislav |125| über Geschenke freuen«, sagt er. »Sie sind nämlich ziemlich traditionell eingestellt.« Ha – also doch nicht die Nietzsche
lesenden Intellektuellen, für die er sie gehalten hatte.
Es macht mir Spaß, Geschenke für Valentina und Stanislav auszusuchen. Valentina bekommt ein besonders billiges und übelriechendes
Parfum, das ich bei einer Supermarkt-Werbeaktion geschenkt bekommen habe. Für Stanislav habe ich einen mauvefarbenen Synthetikpullover,
den meine Tochter einmal von einem Flohmarkt in der Schule mitgebracht hat. Ich wickle alles sorgfältig in Geschenkpapier
und binde Schleifchen darum. Für Vater besorgen wir Pralinen und ein Buch über Flugzeuge. Auch wenn er sagt, dass er nichts
von Geschenken hält, hat er sich bislang noch immer gefreut, wenn er welche bekommen hat.
Wir fahren am ersten Weihnachtsfeiertag nachmittags zu ihnen. Es ist einer dieser grauen, kalten Tage, die mittlerweile offenbar
das ehemals weiße Weihnachten abgelöst haben. Das Haus ist düster, freudlos und schmutzig, doch Vater hat ein paar Weihnachtskarten
(darunter auch welche vom vergangenen Jahr) an einer Schnur unter die Zimmerdecke gehängt, um es ein wenig freundlicher aussehen
zu lassen. Es ist nichts zu essen da. Zum Weihnachtsessen am Abend zuvor gab es in der Mikrowelle aufgewärmte, fertig portionierte
Truthahnbrustscheiben mit Kartoffeln, Erbsen und Soße. Übrig geblieben ist davon nichts. In einem Topf auf dem Herd finde
ich angegraute kalte Kartoffeln und den Rest von einem Spiegelei.
Früher einmal gehörte zum Weihnachtsessen ein großer fetter Vogel mit Buchweizenfüllung und knuspriger Haut, der nach Knoblauch
und Majoran duftete und saftig und fetttriefend in einem Bett aus Schalotten und Kastanien ruhte; dazu unser selbstgemachter
Wein, von dem wir alle beschwipst wurden, eine weiße Tischdecke und, auch wenn |126| es Winter war, frische Blumen. Und es gab kleine alberne Geschenke und Gelächter und Küsse. Diese Frau, die jetzt den Platz
meiner Mutter einnimmt, hat uns unser Weihnachten genommen und es durch Fertiggerichte und Plastikblumen ersetzt.
»Lasst uns doch essen gehen«, schlägt Mike vor.
»Gute Idee«, sagt Vater. »Fahren wir zum Inder.«
Vater liebt indisches Essen. In der trostlosen Betonwüste des in den sechziger Jahren am Ortsrand entstandenen Einkaufszentrums
gibt es ein indisches Restaurant namens Taj Mahal. Nach Mutters Tod lebte Vater eine Zeit lang von dem Essen, das man dort
bestellen und sich ins Haus bringen lassen kann. Seither kennt er den Besitzer.
»Viel besser als Essen-auf-Rädern«, behauptete er, »schmeckt viel besser.« Bis er es eines Tages mit dem Vindaloo-Curry übertrieb
und arg dafür büßen musste. Was er jedem, ob er es hören wollte oder auch nicht, freudig beschrieb. (»Brennt erst, wenn es
reingeht, und dann, wenn es rausgeht.«)
Wir sind die einzigen Gäste – Mike, Anna und ich, Papa, Valentina und Stanislav. Die Heizung ist heruntergestellt, der Raum kühl. Es riecht nach Feuchtigkeit
und schalen Gewürzen. Wir
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