Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
Vom Netzwerk:
und Mittelscheitel. Sie hat eine braune Aktentasche
     dabei und lehnt den Tee ab, den Vater ihr anbietet. Er führt sie durchs Haus.
    »Das ist mein Zimmer. Das ist Valentinas Zimmer. Das ist Stanislavs Zimmer. Wie Sie sehen, ist genug Platz da für alle.«
    Die Inspektorin notiert, wo wer wohnt.
    »Und dies hier ist mein Tisch. Wissen Sie, ich esse lieber allein. Stanislav und Valentina essen in der Küche. Ich koche selbst
     für mich – Toshiba-Äpfel. Werden in der Toshiba-Mikrowelle |133| zubereitet. Sind sehr vitaminreich. Möchten Sie probieren?«
    Die Inspektorin lehnt höflich ab und macht sich weitere Notizen.
    »Werde ich auch Mrs.   Majevska kennen lernen? Wann kommt sie von der Arbeit zurück?«
    »Sie kommt immer zu unterschiedlichen Zeiten. Mal früher, mal später. Wäre besser, Sie würden vorher anrufen.«
    Die Inspektorin notiert noch etwas, steckt ihr Notizbuch wieder in ihre Aktentasche und schüttelt meinem Vater zum Abschied
     die Hand. Er schaut ihr nach, bis ihr kleiner türkisfarbener Fiat um die Ecke verschwunden ist, dann ruft er mich an, um mir
     alles zu erzählen.
     
    Zwei Wochen später erhält Valentina einen Brief von der Einwanderungsbehörde. Ihr Antrag auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung
     für Großbritannien ist abgelehnt worden. Nach Aussage der Inspektorin gibt es keine Anzeichen dafür, dass es sich um eine
     echte Ehe handelt. Voller Wut stürzt sich Valentina auf meinen Vater.
    »Du alter Idiot. Du geben ganz falsch Antworten. Warum du ihr nicht zeigen deine Liebesbriefgedichte? Warum nicht zeigen Hochzeitsfoto?«
    »Warum hätte ich ihr ein Gedicht zeigen sollen? Sie hat nicht nach Gedichten gefragt. Hat nach Schlafzimmern gefragt.«
    »Ha! Sie sehen, du nicht guter Mann, der gehen in Schlafzimmer von Frau.«
    »Du bist keine gute Frau, wenn du den Mann aus dem Schlafzimmer aussperrst.«
    »Was du wollen in Schlafzimmer – he? Phh! Du doch nur pitschi-patschi«, höhnt sie. »Du schluffi-schlaffi! Pitschipatschi!«
     Ihr Gesicht ganz nah vor seinem, wird sie immer |134| lauter: »Schluffi-schlaffi! Pitschi-patschi! Schluffi-schlaffi!«
    »Hör auf!«, schreit Vater. »Hör auf! Geh weg! Geh zurück nach Ukraina!«
    »Schluffi-schlaffi-pitschi-patschi!«
    Er stößt sie weg. Sie stößt zurück. Sie ist größer und stärker als er. Er stolpert und schlägt mit dem Arm gegen die Ecke
     der Anrichte. Sofort bildet sich an der Stelle ein großer blauer Fleck.
    »Da – schau! Das warst du!«
    »Ja, jetzt wein und lauf zu Tochter! Hilfe, Hilfe, Nadia, Verotschka! Frau schlägt mich. Hahaha! Sollte Mann sein, der Frau
     schlägt!«
    Vielleicht würde er sie ja sogar schlagen, wenn er nur könnte. Aber er kann nicht. Zum ersten Mal wird ihm bewusst, wie hilflos
     er ist. Verzweiflung erfasst ihn. Tags darauf, als er Valentina bei der Arbeit weiß, ruft er mich an und erzählt, was passiert
     ist. Er spricht stockend, hat Mühe, die richtigen Worte zu finden, sie kommen nur hinkend und stolpernd aus ihm heraus, alles
     laut aussprechen zu müssen scheint ihm wehzutun. Ich zeige mich besorgt, doch insgeheim gratuliere ich mir, dass ich so clever
     war. Ich habe die offizielle Sichtweise, was Ehe und Sex und Penetration betrifft, ganz richtig eingeschätzt.
    »Weißt du, Nadia, diese Dysfunktion bei der Erektion passiert Männern manchmal.«
    »Und wenn schon, Papa. Valentina braucht sich nicht auch noch darüber lustig zu machen.« Du Dummkopf, denke ich. Was hast
     du denn erwartet?
    »Sag Vera nichts davon!«
    »Papa, wir brauchen vielleicht Veras Hilfe.«
     
    Ursprünglich hatte ich gedacht, diese Geschichte sei eine Farce, doch inzwischen begreife ich, dass sie sich mehr und |135| mehr zu einer Tragödie hin entwickelt. Er hatte mir nichts davon erzählt, weil Valentina zuhört, wenn er telefoniert. Und
     weil er nicht möchte, dass Vera Wind davon bekommt. Zwar widerstehe ich der Versuchung, zu sagen: »Siehst du, du Dummkopf,
     ich hab’s dir ja gleich gesagt«, doch als ich Vera anrufe, sagt sie es für mich.
    »Aber«, fährt sie fort, »eigentlich bist du daran schuld, Nadeshda. Weil du ihn davon abgehalten hast, in betreutes Wohnen
     zu gehen. Wenn er in so einem Heim wäre, wäre das alles nicht passiert.«
    »Aber niemand konnte voraussehen, dass   …«
    »Nadia, ich
habe
es vorausgesehen.« Meine große Schwester triumphiert lautstark.
    »Okay, wenn du so klug bist, dann weißt du ja vielleicht auch, wie man ihn jetzt aus dieser Sache wieder

Weitere Kostenlose Bücher