Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
herausholen kann.«
Die Grimasse, die ich dabei schneide, sieht sie durchs Telefon ja nicht.
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagt Vera prompt. »Scheidung oder Abschiebung. Scheidung ist teuer und unsicher. Abschiebung
ist auch unsicher, aber wenigstens muss Papa nicht auch noch dafür bezahlen.«
»Können wir nicht beides versuchen?«
»Was hast du dich doch verändert, Nadia. Wo sind denn deine feministischen Grundsätze geblieben?«
»Ach, sei doch nicht so boshaft. Du weißt genau, dass wir jetzt an einem Strang ziehen müssen, aber du bringst es nicht mal
fertig, einigermaßen höflich mit mir umzugehen. Ich kann verstehen, warum Papa dir nie etwas erzählt.«
»Ja, weil er auch so ein Idiot ist. Die Praktischen in unserer Familie waren wirklich nur Mutter und ich.«
Aha – jetzt stellt sie sich auch noch als Mutters einzige wahre Erbin dar. Es geht nicht nur um die Dosen und Gläser im Vorratsschrank
und das goldene Medaillon und das Geld auf dem Sparkonto – nein, im Grunde streiten wir |136| uns darum, wer von uns beiden Mutters Wesen und Charakterzüge geerbt hat.
»Unsere ganze Familie war nicht besonders praktisch veranlagt.«
»Wirklich? Dann waren wir wohl – wie nennt ihr Sozialarbeiter das gleich? – eine dysfunktionale Familie? Vielleicht sollten
wir Unterstützung beim Sozialamt beantragen.«
Irgendwann hören wir aber doch auf, uns anzublaffen, und einigen uns darauf, arbeitsteilig vorzugehen. Vera als Expertin in
Sachen Scheidung wird Kontakt mit Rechtsanwälten aufnehmen, und ich werde in Erfahrung bringen, was das Gesetz bezüglich Immigration
und Abschiebung vorsieht. Anfangs fühlt es sich nicht so besonders gut an, mein weiches liberales Schuhwerk gegen die Stilettoabsätze
einer Vertreterin der Schickt-sie-alle-dahin-zurück-wo-sie-herkommen-Fraktion zu vertauschen, doch die neuen Schuhe sitzen
bald wie angegossen. Ich finde heraus, dass Valentina das Recht hat, Einspruch zu erheben, und dass sie, sollte ihr Einspruch
abgelehnt werden, noch einmal in Revision gehen kann. Und dass sie Anrecht auf Rechtsbeistand hat. Sie wird uns also noch
einige Zeit erhalten bleiben.
»Vielleicht sollten wir uns an die ›Daily Mail‹ wenden.« Ich gehe richtig in meiner neuen Rolle auf.
»Gute Idee«, meint Vera.
An der Scheidungsfront hat meine Schwester einen listigen Plan entwickelt. Weil ein nicht-einverständliches Scheidungsverfahren
kompliziert und teuer sein kann, meint sie, es sei besser, auf eine Annullierung der Ehe hinzuarbeiten – mit dem in den europäischen
Königshäusern im sechzehnten Jahrhundert so gern gebrauchten Argument, dass eine Ehe, die nicht vollzogen wurde, keine Ehe
ist.
»Sehen Sie«, erklärt sie dem unerfahrenen Rechtsanwalts-Frischling in der Kanzlei in Peterborough, »diese Ehe hat nie |137| wirklich existiert, und deshalb ist auch eine Scheidung nicht nötig.«
Mit so etwas hatte er bislang noch nicht zu tun, aber er verspricht, sich kundig zu machen. Er stottert etwas herum, als er
am Telefon von ihr die Details dieses ehelichen Nichtvollzugs beschrieben haben möchte.
»Großer Gott«, sagt Vera, »wie detailliert wollen Sie es denn hören?«
Doch auch wenn dieses Argument in den europäischen Königshäusern zog – bei Papa hilft es nicht. Nur wenn eine Partei gegen
die andere wegen ihrer Unfähigkeit oder ihrer Weigerung, die Ehe zu vollziehen, Klage erhebe, könne der Nichtvollzug der Ehe
als Grund für eine Annullierung oder Scheidung ins Feld geführt werden, heißt es in einem schwerfällig formulierten Schreiben
des Frischlings.
»Das war mir nicht bekannt«, sagt Vera, die fest geglaubt hatte, alles über Scheidungen zu wissen.
Valentina lacht nur, als Papa vorschlägt, sie sollten sich scheiden lassen. »Zuerst ich bekomme Dauervisum, dann du bekommen
Scheidung.«
Papa selbst hat den Gedanken an eine Scheidung auch fallengelassen. Er hat Angst, man könne ihn über Schluffischlaffi ausquetschen.
Er hat Angst, dass dann die ganze Welt darüber Bescheid weiß.
»Denk dir lieber was anderes aus, Nadia«, sagt er.
Obwohl er so unter Stress steht, hat Vater es geschafft, ein neues Kapitel seiner Traktorengeschichte fertig zu schreiben.
Es ist allerdings reichlich düster geraten. Als Mike und ich Anfang Februar wieder zu Besuch kommen, geht er mit uns ins Wohnzimmer,
in dem immer noch überall die Äpfel vom Vorjahr herumliegen und eine Kälte wie in einem Kühlhaus herrscht, und
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