Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
ausnehmen, wie dumm sie auch sein
mögen.«
»Ich nicht betrügen! Du betrügen! Ich lieben dein Papa! Ich lieben!«
»Red keinen Unsinn, Valentina. Geh lieber zu deinem Anwalt.«
»Großartig, Vera! Ist das wirklich so glatt gegangen?«
Einen Moment lang tut mir Valentina fast leid. Aber nur einen Moment.
»So weit, so gut«, sagt die Scheidungsexpertin.
Doch Valentinas Anwalt zieht eine Karte aus dem Ärmel, mit der Ms. Carter nicht gerechnet hat. Auf ihren Antrag hin wird ein
vorgezogener Termin angesetzt, bei dem eine Verfügung erwirkt werden soll, dass Valentina sofort das |220| Haus zu verlassen hat. Da weder Vera noch ich Zeit haben, daran teilzunehmen, kenne ich den Ablauf nur aus Lauras Bericht.
Sie und Vater sind frühzeitig im Gerichtsgebäude. Nach ihnen kommt der Richter. Dann kommen Valentina und Stanislav. Als der
Richter die Verhandlung eröffnet, steht Valentina auf.
»Ich nicht verstehen Englisch. Ich brauchen Dolmetscher.«
Allgemeine Verwirrung. Gerichtsdiener werden durchs Haus geschickt, man telefoniert hektisch herum. Aber nirgends findet sich
auf die Schnelle ein Ukrainisch sprechender Dolmetscher. Der Richter vertagt die Verhandlung, ein neuer Termin wird anberaumt.
Wir haben zwei Wochen verloren.
»Mist«, sagt Ms. Carter. »Daran hätte ich denken müssen.«
Anfang August kommt dasselbe Grüppchen wieder zusammen, diesmal jedoch verstärkt durch eine Frau mittleren Alters aus dem
Ukrainischen Club von Peterborough, die sich bereit erklärt hat, als Dolmetscherin zu fungieren. Vater wird ihr Honorar bezahlen.
Sie muss über die Geschichte mit Valentina Bescheid wissen – alle Ukrainer im Umkreis von mehreren Meilen wissen davon –, aber sie lässt sich nichts anmerken. Ich habe mir den Tag freigenommen, um dabei sein und Laura und Papa moralisch unterstützen
zu können. Es ist ein heißer Tag, ziemlich genau ein Jahr nach der Hochzeit. Valentina trägt ein dunkelblaues Kostüm mit rosa
Paspelierung – möglicherweise dasselbe, das sie bei dem Termin vor der Einwanderungsbehörde anhatte –, Vater wieder seinen Hochzeitsanzug mit dem weißen Hemd und den schwarz angenähten Knöpfen.
Ms. Carter erzählt von den Vorfällen mit dem nassen Geschirrtuch |221| und dem Wasserglas sowie von der Szene auf der Krankenhaustreppe. Sie spricht leise und deutlich, man hört ihr an, dass sie
sich bemüht, sich nicht von Gefühlen forttragen zu lassen, aber dass sie das, was sie erzählt, schrecklich findet. Fast entschuldigend
holt sie mit gesenktem Kopf und niedergeschlagenen Augen zum entscheidenden Schlag aus und präsentiert einen Bericht des Psychiaters.
Valentina protestiert heftig und erklärt wortreich, dass mein Vater bösartige Lügen über sie verbreitet, dass sie ihren Mann
aber liebt und dass es außerdem auch gar keinen anderen Ort gibt, wo sie mit ihrem Sohn bleiben könnte. »Ich bin nicht schlechte
Frau. Er hat Paranoia.«
Sie spricht mit weit ausladenden Gebärden zum Publikum und wirft theatralisch ihr Haar zurück. Die Dolmetscherin setzt im
Englischen alles höchst sachlich in die dritte Person.
Dann erhebt sich mein Vater und beantwortet die Fragen des Richters mit derart schwacher, zittriger Stimme, dass er des Öfteren
gebeten werden muss, sich noch einmal zu wiederholen. Sein Englisch ist korrekt und formell, wie es sich für einen Ingenieur
gehört, doch die Art, wie er seine zittrige Hand hebt und auf Valentina deutet, entbehrt nicht einer gewissen wohlkalkulierten
Dramatik.
»Ich glaube, sie möchte mich umbringen!«
Er sieht klein, verschrumpelt und hilflos aus in seinem knittrigen Anzug und mit seiner dicken Brille, und seine Zerbrechlichkeit
spricht für sich. Der Richter ordnet an, dass Valentina und Stanislav das Haus innerhalb von zwei Wochen zu verlassen haben
und alles mitnehmen müssen, was ihnen gehört.
An diesem Abend öffnen Vater und ich zur Feier des Tages eine Flasche von Mutters vier Jahre altem rotem Pflaumenwein. Der
Korken schießt mit lautem Knall an die Decke, |222| wo er eine Delle im Verputz hinterlässt. Der Wein schmeckt wie Hustensaft und steigt einem sofort zu Kopf. Vater erzählt von
seinen Kiewer Tagen in der Fabrik Roter Pflug, die, wie er erklärt, abgesehen vom heutigen Tag die glücklichste Zeit seines
Lebens waren. Innerhalb von einer halben Stunde sind wir beide fest eingeschlafen, Vater in seinem Sessel, ich mit dem Kopf
auf dem Esstisch. Irgendwann
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