Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Aber da habe ich mich getäuscht. Ms. Carter ist eine Tigerin. Eine blonde, blauäugige,
stupsnasige englische Rose von einer Tigerin. Ihr Näschen zuckt indigniert, während ich ihr alles erzähle. Als ich fertig
bin, ist sie wütend.
»Ihr Vater ist in Gefahr. Wir müssen diese Frau so schnell wie möglich aus dem Haus bekommen. Wir beantragen sofort eine einstweilige
Verfügung und reichen gleichzeitig die Scheidung ein. Die drei Autos sind gut. Das Briefchen von Eric Pike ist gut. Und der
Vorfall im Krankenhaus ist ausgezeichnet, weil er sich in der Öffentlichkeit abgespielt hat und es eine Menge Augenzeugen
dabei gegeben hat. Ja, ich bin überzeugt, dass wir bis zur Verhandlung im September etwas auf die Beine stellen können.«
Als ich Vater zum ersten Mal zu Ms. Carter ins Büro mitnehme, trägt er den zerknautschten Anzug von seiner Hochzeit und dasselbe
weiße Hemd mit den mit schwarzem Faden angenähten Knöpfen. Er beugt sich auf die altmodische russische Art so tief über die
ihm entgegengestreckte Hand, dass er beinahe vornüber fällt. Sie ist entzückt.
»So ein netter Gentleman«, flüstert sie mir mit ihrer wohlerzogenen Stimme zu. »Eine Schande, dass jemand ihn so ausnutzt.«
Er hat trotzdem seine Vorbehalte. Zu Vera sagt er am Telefon: »Schaut aus wie ein junges Mädchen. Was kann die schon wissen?«
»Und du, Papa, was weißt du denn schon?«, kontert meine große Schwester. »Wenn du irgendetwas wissen würdest, säßest du jetzt
nicht so in der Patsche.«
Ms. Carter findet auch eine Erklärung dafür, was es mit dem kleinen Fotokopierer und mit dem Verschwinden des Briefs mit dem
Arzttermin auf sich haben könnte.
»Vielleicht möchte sie zeigen, dass Ihr Vater krank ist – zu krank, um an der Verhandlung teilzunehmen. Oder sie |218| will beweisen, dass er nicht ganz klar im Kopf ist, so verwirrt, dass er nicht weiß, was er tut.«
»Und was ist mit den übersetzten Gedichten?«
»Damit will sie belegen, dass es sich um eine Bona-fide-Beziehung handelt.«
»Diese hinterhältige Kuh.«
»Oh, ich nehme an, ihr Anwalt hat ihr das geraten.«
»Machen Anwälte so etwas?«
Ms. Carter nickt. »Und Schlimmeres.«
Wir haben jetzt Mitte Juli, und die September-Verhandlung, die in so ewig weiter Ferne gelegen hatte, scheint plötzlich schon
sehr bald vor der Tür zu stehen. Ms. Carter beauftragt einen Privatdetektiv, der sich um die Zustellung der Dokumente kümmern
soll.
»Wir müssen sicherstellen, dass ihr das Schreiben wegen des Scheidungsverfahrens persönlich zugestellt wird. Sonst kann sie
behaupten, es gar nicht erhalten zu haben.«
Vera bietet an, am entsprechenden Tag vor Ort zu sein, um sich zu vergewissern, dass Valentina den Brief auch wirklich persönlich
entgegennimmt. Jetzt, da Bewegung in die Sache kommt, möchte sie nichts versäumen. Vater erklärt zwar, ihr Kommen sei unnötig,
weil er schließlich erwachsen sei und schon allein damit klarkommen könne, aber er wird überstimmt. Die Falle ist vorbereitet.
Zur angegebenen Zeit erscheint der Detektiv, ein großer, dunkelhaariger Mann mit Dreitagebart, vor dem Haus und hämmert an
die Tür.
»Das muss der Postbote sein!«, ruft Vera, die vor lauter Aufregung schon seit sechs Uhr morgens auf den Beinen ist. »Vielleicht
bringt er ein Paket für dich, Valentina!«
Valentina eilt an die Tür. Sie hat noch die Rüschenschürze und ihre gelben Gummihandschuhe vom Frühstücksabwasch an.
|219| Der Detektiv drückt ihr den Umschlag in die Hand. Valentina ist verwundert.
»Unterlagen für Scheidung? Ich nicht will Scheidung.«
»Nein«, sagt der Detektiv, »Sie nicht. Der Antragsteller ist Mr. Nikolai Majevski.
Er
will sich scheiden lassen.«
Einen Augenblick lang steht sie da wie erstarrt. Dann explodiert sie.
»Nikolai! Nikolai! Was soll das? Nikolai, du dreckig alter Mistkerl, du Hundescheiße, du Totengeripp!«
Vater hat sich in sein Zimmer eingesperrt und das Radio auf volle Lautstärke gedreht. Valentina wirbelt herum, um den Privatdetektiv
wieder aufs Korn zu nehmen, aber der schlägt soeben die Tür seines schwarzen BMW zu und rast mit quietschenden Reifen von
dannen. Valentina schreit Vera an: »Du Miststück, verlogene Schlange, Hexenweib!«
»Tut mir leid, Valentina«, sagt meine große Schwester in, wie sie mir später erzählt, ruhigem, sachlichem Ton, »aber du verdienst
es nicht anders. Du kannst nicht einfach in dieses Land kommen und die Leute betrügen und
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