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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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gebaut, und er war wirklich ein Muster
     an Eleganz und Raffinesse.«
    »Jetzt hör mir mal gut zu, Papa. Wenn du dich entschließt, doch mit Valentina zusammenzubleiben, will ich nichts mehr mit
     dir zu tun haben. Dann brauchst du auch nicht mehr anzurufen, weder bei mir noch bei Vera. Keine Hilferufe mehr, bitte.«
     
    Ich bin so wütend, dass ich mich am folgenden Tag erst einmal nicht bei ihm melde. Doch am späten Nachmittag ruft er mich
     ganz aufgeregt an. »Zeugnisnoten von Stanislav. |228| B in Englisch! B in Musik! C in Mathematik! C in Physik! C in Technischem Zeichnen! D in Geschichte! D in Französisch! Und
     ein A einzig und allein in Religion!«
    Im Hintergrund höre ich Stanislav leise protestieren, als Vater spottet: »Ein C-Schüler ! Haha! Ein C-Schüler !«
    Dann höre ich gellendes Gekreische von Valentina, einen Knall, und dann ist das Telefon tot. Ich versuche zurückzurufen, bekomme
     aber nur das Besetztzeichen. Wieder und wieder. Ich gerate in Panik. Endlich, nach etwa zwanzig Minuten, höre ich es klingeln,
     doch niemand nimmt ab. Da schlüpfe ich in meinen Mantel und schnappe mir die Autoschlüssel. Besser, ich fahre hin und komme
     ihm zu Hilfe. Aber dann wähle ich seine Nummer doch noch einmal, und dieses Mal meldet er sich.
    »Hallo, Nadeshda? Ja – gut, dass wir jetzt die Wahrheit rausgefunden haben. Der Psychologe, der den I Q-Bericht geschrieben hat, war ein Schwindler. Stanislav ist kein Genie. Noch nicht mal besonders klug. Bloß Durchschnitt. Mittelmaß!«
    »Ach, Papa   …«
    »Da gibt es keine Entschuldigung. In Englisch, ja, und sogar in Physik kann Sprachbeherrschung vielleicht eine Rolle spielen.
     Aber Mathematik ist reine Intelligenzsache. Ein C in Mathematik! Ha!«
    »Papa, ist alles in Ordnung mit dir? Was war das für ein Knall, den ich da gehört habe?«
    »Ach, war bloß ein kleiner Plumps. Weißt du, sie kann einfach die Wahrheit nicht vertragen. Will nicht glauben, dass ihr Sohn
     kein Genie ist.«
    »Sind Stanislav und Valentina noch im Haus?«
    Ich möchte, dass er den Mund hält, bevor sie ihm noch ernsthaft wehtut.
    »Nein. Einkaufen gegangen.«
    »Hör mal, es ist schon über zwei Wochen her, dass du |229| vom Gericht die Verfügung bekommen hast. Warum wohnen sie immer noch da? Sie sollten inzwischen ausgezogen sein.«
    Für mich ist klar, dass Valentina irgendwo eine neue Unterkunft und vielleicht sogar ein neues Zuhause für sich und Stanislav
     und den Fotokopierer gefunden hat. Was wollen sie denn immer noch bei Vater?
    »Manchmal sind sie da, manchmal nicht. Einen Tag fort, am nächsten Tag wieder zurück. Weißt du, Valentina ist nicht schlecht,
     kann nur nicht akzeptieren, dass ihr Sohn kein Genie ist.«
    »Also ist sie noch nicht ausgezogen? Oder wo wohnen sie denn?«
    Schweigen.
    »Papa?«
    Dann murmelt er leise, fast bedauernd: »Ein C-Schüler !«
     
    Vera war im Urlaub in der Toskana. Jetzt rufe ich sie an, um sie über die Ereignisse der letzten zwei Wochen zu informieren.
     Ich erzähle ihr von der Verhandlung, was Laura vorgetragen hat und wie Vater nach seiner Befragung mit dem Finger auf Valentina
     gezeigt hat.
    »Bravo!«, sagt Vera.
    Ich beschreibe Valentinas leidenschaftliche, aber für die meisten Anwesenden unverständliche Liebeserklärung und unsere Feier
     danach mit Mutters Pflaumenwein.
    »Wir waren ein bisschen beschwipst, und dann hat er angefangen, über seine Zeit beim Roten Pflug zu erzählen.«
    »Ach ja, der Rote Pflug.«
    Veras Große-Schwester-Stimme lässt mich aufhorchen. Sie klingt, als müsste da noch etwas Schlimmes nachkommen.
    »Du weißt ja, dass sie letztlich verraten wurden. Irgendjemand, dessen Fahrrad sie repariert haben, hat sie dem |230| NKWD gemeldet. Der Direktor und der größte Teil der Belegschaft wurden nach Sibirien deportiert.«
    »Nein!«
    »Glücklicherweise war das, als Papa schon weg war. Und jemand aus der Nachbarschaft hat Anna und Viktor verraten, und die
     beiden starben in Babi Jar. Du weißt, dass sie jüdisch waren.«
    »Nein, wusste ich nicht.«
    »Na ja, wie du siehst, sind sie schließlich eben doch alle verraten worden.«
    Ich hatte geglaubt, es gäbe eine positive Geschichte im Leben meiner Eltern, einen Triumph über die Tragödie, einen Sieg der
     Liebe über alle Hindernisse, aber jetzt sehe ich, dass es sich allenfalls um winzige Glücksmomente gehandelt hat, die festgehalten
     und genossen werden mussten, bevor sie auch schon wieder vorbei waren.
    »Was mir nicht in den

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