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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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nicht zu fassen, weil im selben Moment Vater wieder nach dem Schlüssel in ihrer anderen Hand greift.
     Von zwei Seiten gleichzeitig bedrängt, kreischt sie auf, springt in die Luft – »Es war wie in diesen Kung-Fu-Filmen, die Dick
     sich immer angesehen hat« – und kommt mit lautem Krach wieder auf dem Boden auf, wobei einer ihrer Stilettoabsätze auf Veras
     behausschuhtem Fuß landet und der andere bei Vater knapp unterhalb des Knies am Schienbein auftrifft. Beide, Vera wie Vater,
     gehen in die Knie. Das Diktiergerät schlittert über den Fußboden unter den Herd.
    Während Vera abtaucht, um es wiederzufinden, schiebt Valentina Vater durch die Tür in sein Zimmer, entreißt ihm dabei den
     Schlüssel und versperrt die Tür von außen. Vera stürzt sich auf Valentina, woraufhin beide zu Boden gehen, stößt und zerrt
     und versucht ihr den Schlüssel wieder abzunehmen, doch Valentina ist stärker und hält den Schlüssel fest in der Faust hinter
     ihrem Rücken, während sie sich wieder in die Höhe stemmt.
    Vera muss sich geschlagen geben. Aber sie hat immer noch das Diktiergerät in der Hand. »Ich habe alles auf Band. Alles, was
     du sagst, wird aufgenommen.«
    »Gut«, sagt Valentina, »sehr gut. Ich sage das: Du Flachbrust-Luder ja nur neidisch, weil keine Titten.« Mit den Händen umfasst
     sie ihre Brüste und presst sie obszön zusammen. Ihr Mund gibt kleine schnalzende Küsse von sich. »Männer lieben Titten. Dein
     Papa lieben Titten.«
    »Valentina, pass bitte auf, was du sagst«, sagt Vera. »Du musst nicht gleich so vulgär werden.«
    Doch sie weiß, dass sie gegen Valentina nicht ankommt. |215| Sie versucht zwar, den Kopf oben zu behalten, aber innerlich fühlt sie sich zutiefst gedemütigt.
    Auf der anderen Seite der Tür kratzt und winselt Vater wie ein geprügelter Hund.
     
    »Vera, du hast doch getan, was du konntest«, sage ich, »du warst großartig. Eine Heldin. Und du hast doch jetzt das Band,
     oder?«
    »Ach, da war doch überhaupt keine Kassette drin. Ich habe bloß geblufft. Aber was hätte ich sonst tun sollen?«
     
    Später, bevor sie das Haus verließ, hatte Valentina Vaters Tür wieder aufgeschlossen, den Schlüssel jedoch behalten.
    Vater hatte sich in die Hosen gemacht.
    »Dafür kann er nichts, Vera. Aber Latzhosen sollte er lieber nicht tragen.«
    »Oh doch – dafür kann er sehr wohl etwas. Nicht für seine Inkontinenz, meine ich, aber für seine Obsession. Er klammert sich
     doch gegen jede Vernunft an sie. Er liebt diese Spannung und diese Exzentrizität. Und er nimmt sie noch immer mir gegenüber
     in Schutz.«
    »Ich weiß.«
    »Und willst du wissen, was ich außerdem noch gefunden habe? In der Steckdose unter seinem Bett steckte ein Babyfon.«
    »Du liebe Zeit. Wofür braucht er das denn?«
    »
Sie
braucht es. Nicht er. Das Gegenstück dazu ist nämlich oben in ihrem Zimmer angeschlossen. Das heißt, sie kann alles mithören,
     was er unten in seinem Zimmer sagt.«
    »Aber führt er denn Selbstgespräche?«
    »Nein, Dummkopf. Aber er telefoniert mit uns.«
    »Ach.«

|216| 19.
Der Rote Pflug
    Ich glaube, es war das Babyfon, das letztlich den Ausschlag gab. Vater hat einer Scheidung zugestimmt. Meine Aufgabe ist es
     jetzt, einen passenden Rechtsanwalt ausfindig zu machen – jemanden, der autoritär genug auftritt, um es mit Valentinas Armee
     von staatlichen Rechtsbeiständen aufnehmen zu können, und der gleichzeitig bereit ist, sich wirklich für Vaters Interessen
     einzusetzen, und nicht nur Formalitäten abhakt, um die Gebühren einzustreichen.
    »Nicht der junge Typ, mit dem ich gesprochen habe, als es um die Annullierung ging«, meint die Scheidungsexpertin. »Der war
     keine Hilfe. Es muss eine Frau sein – sie wird an die Decke gehen, wenn sie hört, was passiert ist. Keine zu große Kanzlei,
     weil dort solche Fälle doch nur an Junior-Anwälte weitergegeben werden. Aber auch keine zu kleine Kanzlei, da hat man vielleicht
     zu wenig Fachkenntnis.«
    Also wandere ich in Peterborough durch das Viertel, in dem die Rechtsanwälte sitzen, und schaue mir die Namen auf den Messingschildern
     an. Und obwohl Namen allein nicht viel aussagen, finde ich auf diese Weise zu Laura Carter.
    Als ich ihr zum ersten Mal gegenüberstehe, möchte ich am liebsten sofort wieder gehen. Ich bin sicher, dass ich einen Fehler
     gemacht habe. Sie wirkt viel zu jung und viel zu hübsch. Mit ihr kann ich doch nicht über Busengrapschen |217| und Oralsex und Schluffi-schlaffi reden.

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