Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
Vom Netzwerk:
Hölzer, die wie verrenkte menschliche Arme aussahen. Doch sie winkte immer nur ab.
    Angeblich diene all das nur dazu, Eindruck zu machen. Sie nahm zwei Schenkelknochen von einer Kuh und ließ sie zusammenstoßen und dann noch einmal. Es war zum Lachen.
    Als Chiroko starb, wusste Schartsetseg davon. Sie kam zu mir und sagte: Die Hexe hat es hinter sich. Sie gab mir einen Zettel mit Dingen, die ich erledigen sollte, und war vier Tage lang wie vom Erdboden verschwunden.

    Das war irgendwann zu der Zeit, als Dzaja wegen ihres Bauches wegging. Einen Monat später kam sie dann, das Baby zu zeigen, und ich begann sie zu besuchen. Wir wuschen Windeln und drückten uns abwechselnd die Kleine in den Arm, die es keine Minute allein aushielt. Einmal, Dolgorma war ungefähr ein halbes Jahr alt, machte ich mich auf den Rückweg, als der Abend anbrach, da sagte Dzaja, sie käme mit. Sie schenkte ein wenig Alkohol ein, tränkte damit ein Stück von einem abgeschnittenen T-Shirt und ließ das Kind daran saugen. Es greinte kurz, aber bevor wir in die Windjacken geschlüpft waren, schlief es schon.
    Wenn die Baldanzwillinge in der Nachbarwohnung schreien, verspüre ich immer die größte Lust, mich auf die Baldan zu stürzen. Menschliche Rücksichtnahme ist ein Fremdwort für sie.
    Aber ich bin daran gewöhnt. Ich kenne es vor allem vom Diwaadschin. Wenn neue Mädchen kamen und ich plötzlich alt war. Ich half ihnen immer in der Anfangsphase und konnte dann zuschauen, wie meine Kunden in anderen Türen verschwanden. Nach ein paar Jahren hatten sie mir die meisten Männer abgeworben, und dabei waren sie nichts als Arme und Beine. Meinen kissenweichen Arsch gegen die zwei harten Hälften eines Fohlens zu tauschen. Die Männer sind geschmacklos.
    Dzaja hatte fast bis zum Schluss ihre Stammkunden gehabt, und nachdem sie ein wenig im Preis heruntergegangen war, blieben ihr jahrelang noch ein paar sparsame Gäste, die nur sie wollten, erhalten. Ganz hörte sie eigentlich erst auf, als Dolgorma weglief.
    Später hätte sie ohnehin keiner mehr gewollt. Sie kam ganz herunter, ihr Gesicht verfiel, und ihr Körper nahm die
bauchigen, schwammigen Formen einer alten Frau an. Früher sagten manche, sie wäre schöner als ich. Sie begrub sich bei lebendigem Leib. Ich sagte es ihr nicht, aber es wurde von Woche zu Woche deutlicher. Sie welkte wie die flachblättrigen Pflanzen, wenn ich sie zu viel goss. Sie wurde schwer vom ewigen Sitzen, und ihre Augen entzündeten sich durch die Schlaflosigkeit. Mir war gleich klar, das Mädchen würde zurückkommen und sie könnte sich diese Quälerei ersparen. Und es war auch so. Es dauerte zwar über ein Jahr, aber wie ich gesagt hatte, jede bekommt einmal Heimweh nach ihrer Mama. Auch ich. Nur dass in den Roten Bergen kein Hund nach mir bellt. Dolgorma hingegen wusste sehr wohl, dass Dzaja nur für sie lebte und jede ihrer Minuten aus gespanntem Warten auf das Schlüsselrasseln, den ersten Schritt über die Schwelle, der ihr Dolgorma zurückgeben würde, bestand. Sie wollte nicht einmal das Haus mit mir verlassen und machte jeden Tag Dolgormas Bett und überzog es jede Woche frisch, damit für das feine Fräulein bei seiner Rückkehr alles bereit wäre.
    Dzaja hat mich damals angelogen. Sie sagte, sie und Dolgorma hätten sich gestritten. Dass Dolgorma nach all den von Ausflüchten erfüllten Jahren endlich die Wahrheit erfuhr, sagte sie mir nicht. Erzählte mir nicht, dass das Wort Hure für die Kleine nichts Unbekanntes mehr war. Ich hatte ihr von Anfang an erklärt, dass sie es falsch machte. Es konnte gar nicht anders ausgehen als so. Scham und Lügen gehen Hand in Hand. Auf diese Weise wurde ihr das heimgezahlt. Dzaja hat es nie verstanden, das Gute zu genießen und das Unangenehme dabei aus ihren Gedanken zu streichen. Alles hat zwei Seiten.
    Eine anständige Ulaner Frau wiederum hat kein Geld.

    Sie hätte es ja lassen können. Sie wollte aber nicht.
    Also warum dieses Geflenne und so viele Vorwürfe.
    Wie dem auch sei, ich habe niemanden mehr wie Dzaja in meinem Leben. Eine Frau, vor der es keine Geheimnisse gibt.
    Jetzt spielt sie schon etliche Jahre die Hilfskraft in Ojunas Ger, und ich erfahre kaum, wie es ihr geht. Was sollte ich auch dort? Die Spitzen der Roten Berge blockieren die Zeit.

    Und so berühre ich immer wieder nur die Dinge, die hier von Dzaja in der Wohnung geblieben sind, und denke an ihre Wangen, die rund waren wie die Bäckchen der kleinen süßen Mädchen aus Kanton und von denen

Weitere Kostenlose Bücher