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Kurzes Buch ueber das Sterben

Kurzes Buch ueber das Sterben

Titel: Kurzes Buch ueber das Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Stasiuk
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wir dort in diesem toten Raum standen und schauten, wie der Mechanismus dich in den Ofen schob, nicht aufhören, an die Fabrik zu denken. Es war spätabends und kalt. Wie bei der zweiten oder dritten Schicht, wenn die Halle, die Maschinen und die Menschen, die an ihnen arbeiteten, unwirklicher wurden. Die Dunkelheit schien die Laute zu dämpfen. Es war, als würden das Donnern des Metalls, das Klappern des Blechs, die Schläge, das schrille Pfeifen der Stahl schneidenden Klinge leiser, als würde das Echo sie wegreißen und in der Unendlichkeit der Nacht zerstäuben.So wie die Flammen und die Luft dich in den schwarzen Himmel trugen. Später, als wir draußen waren, konnte ich den Blick nicht von dem säurebeständigen Schornstein aus Chromstahl wenden. Als hielte ich Ausschau nach dir. Als wollte ich deinen Geist sehen. Ich überlegte, ob sie dort Filter eingebaut hatten, damit die Toten nicht in die Atmosphäre gelangen und sich nicht in der Gegend absetzen können.
    Die Wiatraczna. Der Geruch von Brot, der spät in der Nacht aus der Bäckerei aufstieg. Das rote Backsteingebäude mit dem Schornstein sah etwas angeschlagen oder auch nicht ganz fertiggestellt aus. Aber es lebte, es war warm dort, und am Morgen roch es nach heißer, brauner Brotrinde. Man klopfte ans Fenster, und die jungen Frauen von der Nachtschicht brachten Brötchen. Sie waren so heiß, dass man sie mit bloßen Händen nicht halten konnte, und brannten noch durch die Taschen der Kleidung. Die Mädels von der Bäckerei wollten nie Geld. Der Laden in der Kobielska machte um sechs auf, aber die Milch stand schon vor fünf in den Kisten. Der Himmel auf Erden. Die Brötchen brannten, die Milch war kalt. Jacek sagte einmal: Grochówist wie Brooklyn. Wenn man an der Bushaltestelle Richtung Praga stand, an der Baracke mit den Cremewaffeln und dem kleinen Café, und gleichzeitig auf die Grochowska und die Waszyngtona schaute, war es wirklich so. Es war wie Brooklyn, wie die Bronx. Wie all die Orte, von denen aus am Horizont die echte Stadt zu sehen ist. Die Waszyngtona war schnurgerade, und in der Ferne, jenseits des Flusses, konnte man die Hochhäuser der Innenstadt erkennen. Und hier alles flach und Waffelröhrchen mit Creme gefüllt, aus einer Aluminiummaschine, zuerst noch mit einer Kurbel, später elektrisch. Brooklyn und die Bronx. Krypska, Korytnicka, Kutnowska, Komorska, Kawcza.
    Im Morgengrauen verließen wir das Haus und gingen zur Haltestelle in der Garwolińska. Wahrscheinlich war es Herbst. Die Zigaretten waren feucht vom Nebel. Überall dunkel. Links, an der Szaserów, stand ein riesiger Würfel Dunkelheit. Man ging dort entlang mit dem Gefühl, dass man mit dem eigenen Körper leuchten musste. Bis zur Prochowa, bis zur Nizinna. Aber dieses Mal, das ich jetzt zu beschreiben oder zu erfinden versuche, warteten wir auf den 102-er.Er fuhr in Olszynka los, also kam er fast leer an. Die Sitze aus rotem Skai hatten etwas Lüsternes. Für einen Stadtbus waren sie zu weich, zu empfindlich. Wie Möbel in einer Wohnung. In Kombination mit der Kargheit der Zeit, der Landschaft draußen und der Kälte des Herbstes verwandelte sich die provozierende Bequemlichkeit unmerklich in eine sinnliche Perversion. Man berührte die Polster wie einen warmen Körper. Das Rot war dunkel wie leicht verdünnter Wein. Der Motor ließ ein tiefes, gleichsam feuchtes Gluckern vernehmen. Es war ein sehr eigentümlicher Laut für einen Diesel und einen Motor überhaupt. Irgendwie unterseeisch, walfischartig. Die Busse trugen den Namen Berliet und waren französischer Herkunft. Wir fuhren in die Innenstadt auf ein Bier. Ans andere Ufer des Flusses, eine gute halbe Stunde, um im »Okrąglak«, dem Rundbau an der Ecke Plater und Świętokrzyska, einen Krug Bier zu trinken. Nicht ausgeschlossen, dass Winter war und sie es warm servierten. Die Frau zapfte die Hälfte aus dem Hahn, den Rest gab sie aus einem großen Aluminiumkessel dazu, der auf einer elektrischen Platte stand. Der heiße Teil enthielt Zucker, Zimt und Nelken. In der Kneipe standman. Tische gab es nicht. Die Männer passten gar nicht alle hinein, es war zu wenig Platz. Viele standen draußen zwischen blattlosen Sträuchern. Überhaupt sah es aus, als wäre das Ganze eine Art öffentliche Toilette, erbaut zusammen mit dem Kulturpalast, sogar der Sandstein war der gleiche, und das Gebäude ähnelte im Stil dem stalinistischen Koloss, in dessen Schatten es sich duckte. Das Bier war trüb vom Zimt und wurde sofort

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