Kurzes Buch ueber das Sterben
Zumindest bis zur Erfindung der Unsterblichkeit. Aber mir scheint, auch die in Zukunft zu erfindende Unsterblichkeit wird nur eine ins Unendliche verlängerte Einsamkeit sein. Denn worüber wird so ein Unsterblicher reden mit einem Sterblichen, der sich die Unsterblichkeit nicht leisten kann?
Über solche Dinge denke ich dank unserer Hündin nach. Heute ist es kälter geworden; ich habe auf der Veranda eine Art Hundehütte gebaut und sie mit Decken ausgelegt. Die Hündin hat sich zusammengerollt und schläft. Sie schläft die ganze Zeit. Eigentlich würde nichts passieren, wenn ich ihr diese Spritze gäbe. Sie würde einfach weiterschlafen. Sie würde aufhören, ihre Notdurft zu verrichten, sie würde aufhören, sich umzudrehen, die Hinterpfoten nachzuziehen, die eigenen Exkremente zu fressen. Sie würde aufhören zu leiden, und auch wir wären erleichtert, denn es ist nicht leicht, jemandem zuzusehen (ist ein Hund jemand?), der seine Exkremente frisst.
Nichts würde passieren. Der Mensch sollte die Ereignisse voraussehen und in ihren Verlauf eingreifen, wenn es nötig ist. Dank dessen, denke ich, sind wir dahin gekommen, wo wir uns heute befinden. Und nichts kann uns aufhalten. Unnützes Leben können wir loswerden. Da wir gelernt haben, das Leben zu verlängern, gestehen wir uns auch das Recht zu, es zu verkürzen, denn seit einiger Zeit scheinen wir alles in der Hand zu haben. In früheren Epochen, vor dem Humanismus, war der Tod grausam, er kam oft zu früh, aber das Leben dauerte bis an sein Ende. Darüber entschied das Schicksal. Das Schicksal gehört allmählich der Vergangenheit an. Schicksal wird es bald nicht mehr geben. Vorläufig entfernen wir es aus unserem Alltag und verschieben es in Kranken- und Sterbehäuser. Später werden wir uns die Zeit vornehmen. Wir werden entscheiden, wann sie zu kommen hat.
Ich schreibe und schaue auf die Veranda. Die Hündin hat gefressen und sich wieder zusammengerollt in ihrer Höhle aus Schlafsäcken und Decken. Unsere junge braune Katze geht ihr nach und legt sich daneben, in die Wärme des erkaltenden Körpers.
Grochów
Eine Erzählung für Olek
D ie Garwolińska bis ans Ende, dann rechts durch die Makowska die Gleise entlang Richtung Olszynka. Manchmal direkt bis zum Betriebswerk. An warmen Tagen saßen auf der Straße, die an einen Feldweg erinnerte, Typen und tranken. Über die Zäune hingen die Äste der Obstbäume. Sollte es anders gewesen sein, so möge mich jemand korrigieren. Im Frühjahr mischte sich der Geruch nach verbranntem Gras mit dem Gestank von Kreosot. Die Sonne erwärmte das Gestrüpp und die Schwellen. Dort war die Stadt zu Ende. Dahinter kam das Reich der Bahn, des Unkrauts und der Schrebergärten. Im Frühjahr explodierte die Pflanzenwelt jäh und wild, hielt sich den Sommer und Herbst zwischen den Bahndünsten und den Industrieabgasen und fiel dann unter ihrem eigenen Gewicht zusammen. Nur die ausdauerndsten Gewächse hatten länger Bestand. Zum Beispiel Stechapfel und Hanf. Sie ragten den ganzen Winter unter dem Schnee hervor, bis frisches Grün sie bedeckte.
Dort war Schluss. Die Stadt hielt auf halbem Schritt inne wie an einem Steilufer, als ginge ihr der Atem aus oder als verfiele sie in Schockstarre angesichts der Lehmlöcher, Hundetriften, Blechhütten, Gleisanlagen, all der wertlosen Wunder aus Schrott. Alles brach ab, und etwas völlig Neues begann. Die Szklanych Domów war das letzte Ufer der Stadt. Dahinter erstreckten sich seichte, dunkle Gewässer, auf denen sich paradiesische Inseln erhoben, teuflische Inseln, Wracks, abgerissene Fetzen des städtischen Kontinents, zerbröckelte und vermengte Schollen von Industrie und Erholung.
Die Typen in der Makowska hatten die Hosenbeine hochgezogen. Ihre Schienbeine blinkten in der Sonne. Es war Ende April. Apfel- und Kirschblüten rieselten auf ihre Schultern. Sie waren die Arbeiterklasse. Sie schauten nach Norden, auf das gegenüberliegende Ende der Senke, wo der Bahndamm höher war und die dahinkriechenden Züge im goldenen Frühlingslicht nah und deutlich erschienen wie die aus der Kindheit. Manche Züge fuhren direkt in die Welthauptstadt des Proletariats. Der Stadtteil auf der anderen Seite hieß Utrata: Verlust.
Und so war es in der Tat. Wir gingen dorthin, um unsere Melancholie zu stillen. Um ein unbestimmtes Gefühl von Verlust zu pflegen. Zumindest einige von uns. Jedenfalls ich. Die Makowska glich einem Meeresufer. Man musste nur hingehen und sich vorstellen, was hinter dem
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