Kurzschluss
bisweilen so schmal, dass sich Sander mit dem Wohnmobil im Begegnungsverkehr schwertat.
Nachdem er die ersten norwegischen Kronen beim Verlassen des Unterwassertunnels loswurde – nämlich umgerechnet 19 Euro für die Maut –, staunte er, wie dynamisch und modern sich die Stadt Drammen präsentierte: Vierspurige Straßen und die Eisenbahn überquerten auf großzügig angelegten Brücken einen breiten Fluss. Sander hielt sich an die Ansage des Navigationssystems und ließ sich von Doris jedes Mal bestätigen, dass er auf der richtigen Spur fuhr. Ein Tunnel brachte sie wieder aus der Stadt hinaus und mitten hinein in eine Landschaft, die ans Allgäu erinnerte: Weideland, umgeben von Wäldern. Sie fuhren über eine Nebenstraße nach Stollenborg. Dort, so war ihm gesagt worden, befinde sich das große Wasserkraftwerk von Kongsberg, von dem der heimische Stromversorger seine Energie beziehe. Doch dieses Stollenborg bot sich den Durchreisenden als kleines, verschlafenes Nest dar, in dem zumindest von der Straße aus weder ein Fluss noch ein Kraftwerk zu sehen waren. Ziemlich enttäuschend, wie Sander kundtat.
Er überlegte, ob er jemanden fragen sollte, verwarf aber den Gedanken, zumal er keine der beiden in Norwegen anerkannten Schriftsprachen – Bokmål und Nynorsk – beherrschte. Zwar wusste er, dass fast jeder Norweger des Englischen mächtig war, in Wahrheit hatte er jedoch keine Lust zu einer Konversation. Er brauchte diesen Frederiksen, um den es ja letztlich ging, auch nur anzurufen.
Während Doris bereits eine erste dezente Unmutsäußerung über den in ihren Augen sinnlosen Zeitverlust von sich gab, entschied er, die paar Kilometer vollends weiter in die nächste Stadt, nach Kongsberg, zu fahren. Tatsächlich tauchte links der Straße ein breiter Fluss auf, an dem sich ein Kraftwerk befinden musste. Zumindest deutete eine Leitungstrasse darauf hin, deren dicke Drähte sich über einen Hang spannten. Sander mutmaßte, dass es postalisch dem nahen Stollenborg zugeordnet war.
»Wir sind richtig«, stellte Sander erleichtert fest, womit er jedoch keine Begeisterung auslöste. Vermutlich hatte Doris insgeheim gehofft, dieser Stopp würde an ihr vorübergehen.
Doch nachdem Georg davon überzeugt war, die Kraftwerksgebäude hinter dem dichten Bewuchs ausgemacht zu haben, hielt er an, um die Wohnadresse von Ingo Frederiksen in sein Navigationsgerät einzugeben.
Die Anweisungen der Computerstimme brachten sie ins beschauliche Stadtzentrum, wo eine Straßenbrücke über den reißenden Fluss führte, der hier wild tosend auf seiner ganzen Breite einen zwei, drei Meter hohen Absturz überwand. Sander hätte dies gerne fotografiert oder auf Video festgehalten, aber der Straßenverlauf bot keine Chance, das Wohnmobil gefahrlos abzustellen.
Er folgte stattdessen den weiteren Anweisungen, erklomm einen leichten Anstieg und wurde in eine Nebenstraße geschickt, in der die Bebauung immer spärlicher wurde. »Sie haben Ihr Ziel erreicht«, behauptete die Computerstimme, als eine weitere Querstraße auftauchte, an der sich die typischen nordischen Holzhäuser hinter viel Grün verbargen. Eine Hausnummer hatte das Navigationsgerät nicht akzeptiert, sodass Sander auf Doris’ Hilfe angewiesen war.
Die Frederiksens bewohnten ein schneeweiß gestrichenes Holzhaus, das dicht mit Sträuchern und Sommerblumenstauden bewachsen war. Sander hatte bereits den ganzen Tag über gestaunt, wie üppig sich die Natur in den nordischen Breiten präsentierte. Von seiner früheren Fahrt ans Nordkap hatte er das anders in Erinnerung. Aber damals hatte er sich schnell nordwärts zum Polarkreis und darüber hinaus bewegt und in seinem jugendlichen Elan vermutlich noch kein Auge für die Natur gehabt.
Ingo Frederiksen, ein Abkömmling deutscher Großeltern aus Schleswig-Holstein und in Dänemark aufgewachsen, war ein großer blonder Mann, den der Norden geprägt hatte. Sander hatte sich einiges über ihn berichten lassen: Anfang 40, verheiratet, zwei Kinder, spricht fließend Deutsch.
Die Begrüßung fiel knapp, aber durchaus herzlich aus. Frederiksen führte die Besucher durch die hölzerne Diele in das Wohnzimmer. Spielzeug, das auf dem Holzboden lag, deutete darauf hin, dass die Kinder nicht weit sein konnten.
Frederiksen bot ihnen einen Platz auf einer abgewinkelten Polstergruppe an. »Meine Frau ist mit den Kindern runter in die Stadt«, sagte er und es klang wie eine Entschuldigung. »Hatten Sie eine gute Reise?«, fragte er und bot
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