Kurzschluss
den Gästen etwas zu trinken an, was diese aber dankend und mit dem Hinweis ablehnten, sich nicht lange aufhalten zu wollen.
»Herr Büttner hat mir gesagt, worum es geht«, kam Frederiksen deshalb sofort zur Sache. »Sie haben die Aufnahmegeräte dabei?«
»Ja, natürlich«, entgegnete Sander. »Es geht wohl um ein Statement für seinen Film.«
Frederiksen schlug die langen Beine übereinander, die in engen Jeans steckten. »Er geht die Sache ziemlich mutig an, scheint mir«, grinste er überlegen. »Aber er tut auch gut daran. Wir hier in Norwegen sehen uns als Vorreiter, ja, so sagt man doch, als Vorreiter für den Klimaschutz. Wir tragen zwar mit unserer Ölförderung letztendlich auch zur Verschmutzung unserer Umwelt bei – aber wir werden dies nicht mehr lange tun. Die Vorräte gehen zur Neige – wie überall auf der Welt.«
Sander hatte sich kundig gemacht und wusste Bescheid: »Norwegen investiert die Ölmilliarden in die Erforschung zukunftsträchtiger Energien.«
»Ganz genau, so ist es. Wir sind nicht Dubai.« Wieder grinste Frederiksen. »Dort setzen sie ihre Petrodollars buchstäblich in den Sand. Mit Prunkbauten und Inseln, die sie künstlich aufschütten. Ein Irrsinn. Sie glauben, damit für die Zeit nach dem Öl auf Tourismus setzen zu können. Ein Irrglaube.«
Sander und seine Partnerin nickten. Sie hatten den unglaublichen Bauboom in den Emiraten schon mit eigenen Augen gesehen.
»Norwegen ist der drittgrößte Ölexporteur der Welt«, sagte Frederiksen stolz. »Dieser Ölreichtum, der meinem Land beschert ist, bedeutet auch Verantwortung. Und zwar Verantwortung für die ganze Welt. Norwegen ist mit den ersten Ölfunden in den späten 60er-Jahren reich geworden. Staatsverschuldung gleich null. Das müssen Sie sich mal auf der Zunge zergehen lassen, Herr Sander. Staatsverschuldung gleich null. Denken Sie an Ihr Land.« Er wartete keine Antwort ab, sondern fuhr fort: »Wir hier in Norwegen investieren einen Teil der Ölmilliarden in die Erforschung der neuen Energien. Mit der Wasserkraft, die uns nahezu unendlich zur Verfügung steht, versorgen wir nicht nur uns selbst, sondern bereits weitere Länder. Und jetzt entwickeln wir ein Osmosewerk. Wenn das in großem Stil funktioniert, dürfte dies revolutionär sein.«
Sander hatte zwar schon etwas davon gehört, konnte aber nichts damit anfangen.
Sein Gegenüber bemerkte dies und erklärte: »Osmose – das bedeutet Energiegewinnung aus dem Zusammenwirken von Salz- und Süßwasser, um es vereinfacht auszudrücken. Endlich ergäbe die gigantische Menge Salzwasser auf diesem Planeten einen Sinn.«
Genau, erinnerte sich Sander. So war es. Als er das zum ersten Mal gehört hatte, war er von dieser Idee fasziniert gewesen. Denn oft schon hatte er am Meer gestanden und sich Gedanken darüber gemacht, welchen Sinn dieses viele Salzwasser haben könnte.
Frederiksen sprach entschlossen weiter: »Wenn Sie überlegen, wie der weltweite Kapitalismus den Energiesektor beherrscht, dann kann ich Herrn Büttner nur bestärken und sagen: Legt den Burschen endlich das Handwerk.«
Sander staunte, wie offen dieser Mann, der doch selbst in der Energiebranche Karriere gemacht hatte, mit diesem Thema umging. Der Norweger war, so hatte er sich informiert, nach dem Studium der Elektrotechnik sechs Jahre lang bei den größten Energiekonzernen Europas gewesen, in Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland. Dabei hatte er die Tochter eines Experten aus der Stromwirtschaft kennengelernt, sie geheiratet und überredet, mit ihm nach Norwegen zu ziehen. Vier Jahre war dies inzwischen her.
Frederiksen hatte auf eine Antwort gewartet, doch sein Gegenüber war für ein paar Sekunden in Gedanken versunken. Er forderte Sander deshalb auf: »Holen Sie Ihr Aufnahmegerät, dann machen wir das Ding.« Wieder verzog er das Gesicht zu einem Lächeln: »Aber sagen Sie dem Herrn Büttner, dass er sich genau überlegen soll, worauf er sich einlässt.«
Sander nickte und erhob sich, um das Videogerät aus dem Wohnmobil zu holen.
Frederiksen folgte ihm und sagte: »Aber auch Sie sollten sich bewusst sein, was das bedeuten kann.«
Doris war verunsichert.
7
Während sich über Nordeuropa langsam ein stabiles Hochdruckgebiet aufbaute und den Nordkapfahrern den Blick auf die Mitternachtssonne versprach, waren die Junitage in Deutschland ziemlich kühl. Vielleicht machte sich die Schafskälte bemerkbar, die den alten Bauernregeln zufolge um diese Jahreszeit noch einmal für
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