Kurzschluss
war die gesamte Kriminalpolizei des Landkreises seit gestern mit nichts anderem beschäftigt – unterstützt sogar von Kräften der Bereitschaftspolizei und der Landespolizeidirektion Stuttgart. Weil die Räumlichkeiten nicht ausreichten, war der benachbarte Lehrsaal der Feuerwehr in Beschlag genommen worden. Nicht auszudenken, was geschehen würde, käme es zu einem weiteren Verbrechen in dieser Gegend.
Linkohr wusste, dass Häberle mit sich gerungen hatte, ausgerechnet jetzt seinen Zuständigkeitsbereich zu verlassen. Doch gerade weil der Chef dies tat, waren für die nächsten Tage deutliche Fortschritte zu erwarten. Oft schon war es sinnvoll gewesen, über den Rand der Täler hinauszublicken, zumal in einer globalen Welt die Fäden überall gesponnen werden konnten. Und wer weiß, überlegte Linkohr, vielleicht waren ja manchen Kreisen die Aktivitäten des Albwerks in Norwegen ein Dorn im Auge. Wer nur auf Atomkraft schwor, dem konnte es schließlich nicht egal sein, dass regenerativen Energieformen ein immer größerer Stellenwert beigemessen wurde.
»Stimmt es eigentlich, dass sich dieser Sander in Norwegen rumtreibt?«, fragte Linkohr plötzlich zur Verwunderung seiner Kollegen. Sie hatten ja nicht ahnen können, welche Gedanken ihn gerade umtrieben.
»Häberles Lieblings-Journalist?«, fragte einer nach und ein anderer wusste zu berichten: »Der Ziegler soll sich bei der Pressekonferenz ziemlich abschätzig über ihn geäußert haben. ›Ein großer Fall in der Provinz und Sander nicht da‹ hat er gewitzelt, heißt es.«
Linkohr wollte nichts dazu sagen. Vielleicht war der Norden ja gerade in Mode geraten – der Norden und nicht das Morden?
*
Wolfgang Taler war glücklich. Nur so konnte man sein Lebensgefühl beschreiben, das ihn seit dem vorletzten Sonntag voll und ganz einnahm. Sein Plan war aufgegangen: Kaum hatte er den Chefposten des örtlichen Gasversorgungsunternehmens altershalber verlassen, war er auch schon in zwei kommunale Gremien gewählt worden. Bei der Wahl vorletzten Sonntag schaffte er auf Anhieb je einen Sitz im Gemeinderat der Kreisstadt Göppingen und im Kreistagsgremium des Landkreises. Getrübt wurde die Freude nur durch das Verschwinden der Albwerk-Sekretärin Rothfuß, bei der er erst vor Kurzem abgeblitzt war, was ihm aber andererseits imponiert hatte, denn dies forderte ihn zu einem neuen Anlauf heraus. Doch jetzt wollte er es genau wissen: Wie intensiv war die Beziehung zwischen Frau Rothfuß und Frau Büttner? Es gab, das hatte er mit seinem messerscharfen Verstand exakt festgestellt, einen einzigen gemeinsamen Nenner. Und das waren der Zähler und die alte Schaltuhr gewesen. Ein Mann wie er gab sich nicht einfach mit Erklärungen zufrieden, die so simpel klangen, dass sie kaum jemand für möglich hielt. Taler vermutete hinter allem tiefe Gründe. Nicht, dass er von einem stetigen Misstrauen getrieben wäre – nein, er war davon überzeugt, dass die Welt vielschichtiger und komplizierter war, als es der oberflächliche Betrachter für möglich hielt. Denn wer sich intensiv und mit wissenschaftlicher Akribie mit Natur und Umwelt befasste, der musste erkennen, dass nichts einfach nur zufällig da war. Hinter allem und jedem steckte eine Logik – und nur wer diese zu ergründen vermochte, war allen anderen ein Stück voraus. Das war wie ein Schachspiel. Wer zwei, drei Züge im Voraus denken konnte, war gegenüber jedem anderen im Vorteil, der immer nur in Abwehrstellung ging.
Taler hatte sich telefonisch angekündigt und war am späten Vormittag im Ulmer Büro von Frau Büttner eingetroffen. Er entschuldigte sich für den spontanen Besuch, verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen und nahm Platz. Mit wenigen Worten erklärte er, dass er im Sinne des Albwerks das Umfeld von Mitarbeitern beleuchten wolle und dass dies nichts mit Spitzeleien zu tun habe, sondern dazu beitragen solle, Frau Rothfuß so schnell wie möglich zu finden. Er vermied absichtlich das Wort lebend. »Diese Zählergeschichte«, begann er, »das war nichts Verbotenes, aber es fällt halt auf, dass über den Weg Ihres … Exmannes, darf ich so sagen?, dass also über ihn diese alten Kästen an eine Ihrer Mitarbeiterinnen und somit wiederum an deren Gatten gelangt sind.«
»Das fällt auf«, unterbrach sie ihn schnippisch. »Das Zeug wurde aber weder gestohlen noch anderweitig aus der Firma gebracht. Mein Mann hat es ganz offiziell über Frau Rothfuß gemacht.«
»Verstehen Sie mich recht«,
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