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Kurzschluss

Kurzschluss

Titel: Kurzschluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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wollte, war geschwunden. Jetzt, wo der nahende Sommer endlich zu spüren war, hätte sie ohne die Belastung durch den Job längst die Pflanzkübel auf die Terrasse gestellt. Doch die Begeisterung an der Natur war vom grauen Alltag aufgefressen worden. Wie bei so vielen Menschen, dachte er. Für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens blieb keine Zeit mehr. Keine Zeit und keine Muße. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie sich in den vergangenen zehn Jahren herausgebildet hatten, ließen keinen Spielraum mehr. Das spiegelte sich in jedem Lebensbereich wider, ganz besonders in der Wirtschaft. Es gab keine wirklichen Innovationen mehr. Die Köpfe waren blockiert, die gesamte geistige Schaffenskraft wurde von Leistungsdruck und der Gier nach Macht und Einfluss aufgesogen. Nach oben kam nur noch, wer die stärksten Ellbogen hatte. Deshalb waren die einflussreichen Stellen nicht mehr von den kreativen Denkern besetzt, sondern von Theoretikern, Taktikern, Großschwätzern und geistig minderbemittelten Emporkömmlingen, die ihre Unsicherheit mit Arroganz übertünchten. Oder sie hatten sich als Erbe ins gemachte Nest gesetzt, ohne den Job, der ihnen auf diese bequeme Weise vom Himmel beschert worden war, auch nur andeutungsweise zu beherrschen. Gerade in jüngster Zeit hatte sich allüberall gezeigt, dass die Nachkommenschaft eines Tüftlers und Schaffers allein noch nicht dazu befähigt, den Betrieb der Väter und Großväter weiterzuführen. Arthur Speidel blickte aus dem Fenster, ohne dort etwas wahrzunehmen. Es war dieser Blick ins Leere, der seine Frau so beunruhigte. Arthur konnte stundenlang so dasitzen und vor sich hin starren.
    Doch wenn Gedanken wie die jetzigen sich seiner bemächtigten, dann begann sich in seinem Kopf ein ganzes Karussell zu drehen. Mein Gott, warum kapierte denn niemand in diesem Land, wohin dies alles führte, in welchen Abgrund! Gerade jetzt, da sich die Weltwirtschaftskrise ausbreitete wie eine Pestepidemie, wäre es doch überlebensnotwendig, auf die Ressourcen in den Köpfen zu setzen und dieses Potenzial an Ideen zu nutzen – oder den Teamgeist zu fördern, der zu ungeahnten Höhenflügen fähig wäre, würde man ihn unterstützen. Stattdessen trampelte man alles mit der Knute nieder, die man aus dem Sack des 19. Jahrhunderts geholt hatte. Oder legte den Menschen Fesseln an, um das vermeintlich Letzte aus ihnen herauszupressen. Die Folge war ein Erstarren – und damit ein Absturz ins Bodenlose. Welche wahre Innovation hatte es denn in den letzten Jahren in diesem Land gegeben? Außer immer neuen bürokratischen Hemmnissen und Gängelungen der Arbeitnehmer, außer Parteiengezänke und Pöstchenschacher? Nichts. Arthur Speidel schien es so, als würde die gesamte geistige Energie dazu verschwendet, eine gewisse Schicht der Menschheit kleinzuhalten und zur Arbeit anzutreiben, damit andere per Mausklick bequem ihr vermeintliches Vermögen, das auch nur auf dem Papier oder der Computerfestplatte existierte, vermehren konnten. Die Chefin dieser Zeitarbeitsfirma, bei der seine Frau einen Job gefunden hatte, war bei näherem Betrachten der Prototyp einer rücksichts- und hemmungslosen Ausbeuterin, für die die gesellschaftlichen Verhältnisse der jüngsten Vergangenheit einen idealen Nährboden bereitet hatten. Sie konnte einem schön ins Gesicht reden, doch in Wirklichkeit galt ihr Interesse nur sich selbst.
    »Die Büttner geht über Leichen«, sagte Roswitha plötzlich, als habe sie seine Gedanken gelesen. Dies allerdings war auch nicht schwer gewesen, nachdem sie ein paar Sekunden lang beobachtet hatte, wie er sich seinem grübelnden Schweigen hingegeben hatte.
    Er starrte noch immer zur gegenüberliegenden Hauswand. »Weißt du, was ich mir oft überlege?«, fragte er langsam. »Ich überleg mir, weshalb alle stillhalten, weshalb sich so viele Menschen zu Sklaven machen lassen. Dabei«, er dachte für einen Moment nach, »dabei bin ich mir sicher, dass sich da etwas zusammenbraut, was gefährlich werden könnte.«
    Sie schwieg.
    »Etwas zusammenbraut«, wiederholte er deutlich leiser. »Wundert es dich da, wenn dann einer von dieser Sorte plötzlich im See liegt?«

14
    Inzwischen bestand kein Zweifel mehr: »Der Tote ist dieser Büttner«, sagte Linkohr, als Häberle den Lehrsaal betrat, in dem nahezu ein Dutzend Kriminalisten die Erkenntnisse der Spurensicherung aufarbeitete und die Protokolle sichtete. Der Chefermittler ging von einem zum anderen, wechselte ein paar Worte und

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