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Kurzschluss

Kurzschluss

Titel: Kurzschluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Schweinehund, der ihn dazu drängte, eine neue Zigarette anzuzünden.
    »Aber du kanntest den Mann gar nicht«, sagte Roswitha und lehnte sich zurück. Es sah ein bisschen so aus, als räkele sie sich im Polster des Sessels. Ihr enger Pullover brachte die weiblichen Formen zur Geltung.
    »Nein, ich ihn nicht.«
    »Du hast also sein Gesicht gesehen?«
    »Nur kurz, als sie ihn herausgezogen haben.« Arthur Speidel kratzte sich am schlecht rasierten Hals.
    »Und du hast alles zu Protokoll gegeben?« Sie wandte sich einem großformatigen Titelbild zu, das eine familiäre Szene aus irgendeinem Monarchenhaus zeigte.
    »Da gab’s nicht viel zu Protokoll zu geben«, erwiderte er lustlos und wollte das Thema beenden. »Wie geht’s dir denn?«, fragte er deshalb unvermittelt, während sie ein neues Magazin aufschlug.
    »Wie soll’s mir schon gehen? Kreuzschmerzen ohne Ende. Ob ich steh oder sitz.« Roswitha sah ihn genervt an. »Bin mal gespannt, was der Arzt nachher sagt.«
    »Was wird er schon groß sagen? Du solltest einen gescheiten Job haben, wird er dir empfehlen. Nicht bei Wind und Wetter draußen auf Leitern steigen und dich beim Putzen verrenken.«
    »Du sagst das so dahin!«, wandte sie vorwurfsvoll ein. »Wenn ich mir meinen Job raussuchen könnte, würd ich nicht bei diesem Ragallen-Weib Sklavendienste ableisten. Aber mehr als mich in eine Zeitarbeitsfirma zu vermitteln, fällt denen bei der Arbeitsagentur nicht ein.«
    Er schwieg. Immerhin brachte sie ein paar Euro nach Hause.
    Roswitha war jahrelang Abteilungsleiterin in einer großen Wäscherei gewesen. Als der Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen schließen musste, stand sie auf der Straße. Und jetzt, da ihr Mann Arthur ebenfalls den Job verloren hatte, war sie, der Not gehorchend, auf Stellensuche gegangen. Ein halbes Jahr war das nun her und die neue Arbeit, die oft im Freien verrichtet werden musste, hatte ihr in den kalten Wintermonaten stark zugesetzt. Außerdem fraßen die Fahrtkosten ins 33 Kilometer entfernte Ulm einen Teil des ohnehin spärlichen Lohns auf. Oft genug hatte sie während der Fahrt an die großspurigen Forderungen der Politiker denken müssen, wonach Arbeitnehmer heutzutage mobil sein sollten. Aber wer ihnen die immensen Fahrtkosten ersetzt, darüber wurde nichts ausgesagt. Es bedurfte sogar eines Gerichtsentscheids, um die abgeschaffte Pendlerpauschale wieder einzuführen – obwohl ohnehin unklar blieb, welch steuerlicher Winkelzug in Berlin ausgebrütet wurde, damit letztlich wieder der Arbeitnehmer die Zeche bezahlen musste. Denn Erleichterungen, das war Roswitha längst klar geworden, betrafen ohnehin immer nur die anderen. Meist jene, die sowieso schon genügend hatten. Den Kleinen versuchte man weiszumachen, dass bereits eine Vergünstigung in Höhe von fünf Euro pro Monat ein tolles Entgegenkommen sei, mit dem gewiss die Konjunktur angekurbelt werden könnte. Unweigerlich kam ihr bei solchen Gedanken auch eine Freundin in Erinnerung, die als Angestellte eines Reisebüros jeden Rabatt, den sie auf eine Reise erhalten hatte, als sogenannten geldwerten Vorteil versteuern musste. Dabei handelte es sich meist nur um Beträge von 200 bis 300 Euro pro Jahr – wenn überhaupt. Hingegen reisten die Bonzen, Lobbyisten oder Vorstände von Luftfahrtgesellschaften auch mal schnell um die halbe Welt, und zwar gnadenlos auf Kosten ihrer Firma. Roswitha mochte nicht so recht glauben, dass derlei geldwerte Vorteile ähnlich versteuert wurden, wie beim kleinen Arbeiter oder Angestellten. Die Ungerechtigkeit, daran bestand für sie gar kein Zweifel, nahm in dieser Republik von Jahr zu Jahr neue Dimensionen an.
    Nein, an Gerechtigkeit glaubte sie schon lange nicht mehr. Und erst recht nicht in einem Land, in dem sich die Parteien zu einem geschlossenen System entwickelt hatten, das in keiner Weise mehr ihren Vorstellungen von Demokratie entsprach. Politiker heuchelten doch nur ihr Interesse am Gemeinwohl, während sie in Wahrheit ihre eigene Wiederwahl im Visier hatten. Und sonst gar nichts.
    »Du solltest den Job wieder aufgeben«, meinte Arthur und unterbrach damit die entstandene Stille.
    Sie blickte von ihrer Zeitschrift auf, in der sie ohnehin kein Wort gelesen hatte, und nickte langsam. »Ich will dich damit nicht belasten, aber ich spüre, wie mich das kaputt macht.«
    Auch er nickte. Seit Längerem hatte er bemerkt, wie sie sich in den vergangenen Monaten veränderte. Ihre Freude an dem kleinen Vorgarten, den er ihr verschönern

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